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Kolumne: Gesellschaftskunde Falsche Genugtuung

Die Leute wollen Spaß und Schlagabtausch, gern mit ein bisschen Häme wie beim Dschungelcamp. Diese Haltung taucht auch in Bereichen auf, in den sie nichts verloren hat, wie in der Flüchtlingsdebatte.

Nun lodert wieder das Lagerfeuer, prekär-berühmte Menschen streiten über Intimes und baden ab und an in Getier, die australische Niederlassung des deutschen Eskapismus ist wieder geöffnet. Und während der erste Ex-Promi das Dschungelcamp schon wieder verlassen hat, amüsieren sich die Zuschauer in x-ter Auflage über die Dummheit der anderen. RTL ist es mit diesem Format ja gelungen, Trash-TV und Mediensatire in einem zu liefern. Man muss sich also nicht schämen als Dschungelcamp-Gucker, man ist ja Fan aus ironisch-sicherer Distanz.

Das Phänomen zeigt allerdings, welchen Stellenwert das reine Spaßhaben bekommen hat. Nur wer sich humorig, bissig, schlagfertig gibt und beizeiten Unerhörtes raushaut, wird wahrgenommen. Spektakulär, unterhaltsam und spielerisch verpackt muss alles sein, auch das Ernste, Dröge, Komplizierte. In Unternehmen etwa ist "Gaming" der neue Trend bei Fortbildungen. Rollenspiele ersetzen die Powerpoint-Präsentationen, da gibt es keine Zuhörer mehr, deren Gedanken abschweifen könnten, nur noch Akteure, die alles selbst ausprobieren.

Nun ist Unterhaltsamkeit kein Makel. Und nicht alles, was langweilt, hat schon Niveau. Doch erlebt das Land gerade nach den Ereignissen von Köln, was es bedeutet, wenn Menschen entwöhnt sind, Argumente und Diskurse zu verfolgen. Wenn sie es vermeiden, Sätze anzuhören, die nicht auf eine Pointe hinauslaufen. Wenn sie sich lieber Empörung, Emotionen, Befindlichkeiten um die Ohren hauen. Denn das ist ja auch eine Lehre aus Köln: Das Schrille hat gesiegt, die Polemik, die Niedermache. Und zwar unabhängig vom politischen Lager. Das heißt nicht, dass man nicht empört sein müsste über die Übergriffe in der Silvesternacht oder dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht angreifbar wäre. In der Sache darf es keine Tabus geben. Im Stil schon.

Denn das öffentliche Klima in Deutschland ist auch deswegen vergiftet, weil immer mehr Menschen keine Argumente mehr austauschen, sondern sich gegenseitig für naiv, heuchlerisch, fremdenfeindlich erklären. Lauter Zuschreibungen, die mundtot machen sollen. Das spiegelt Wut, vielleicht auch Ohnmacht angesichts politischer Abläufe, die schwerfällig erscheinen. Jedenfalls geht es nicht darum, die beste Antwort auf vorhandene Probleme zu finden, sondern sich Genugtuung zu verschaffen.

Dasselbe Gefühl, das mancher Zuschauer empfindet, wenn ein abgehalfterter Star auch noch aus dem Dschungelcamp vertrieben wird.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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