Kolumne: Gesellschaftskunde Google versucht, die Welt neu zu buchstabieren

Der Name des Unternehmens hat es in unseren Sprachschatz geschafft. Jetzt nimmt sich die Firma einen Begriff zurück - indem sie sich "Alphabet" nennt.

Manchmal deckt ein Unternehmen ein Bedürfnis so gut ab, dass der Name seines Produkts in den Wortschatz der Leute übergeht. Google hat der Welt eine bequeme Suchmaschine eingerichtet, es hat ein Tor zur unendlichen Weite des Internets aufgestellt, etwas, an das sich die Nutzer halten können. Das Unternehmen lenkt die Wege der Menschen ins Netz. Und es bedient das Bedürfnis, Wissenslücken zu füllen, schnell mal Namen nachzusehen, die einem entfallen sind, oder den Weg zur nächsten Tankstelle.

Darum sagen wir "muss ich mal googlen", wenn wir "suchen" meinen. Und haben das gute Gefühl, dass Nichtwissen nicht mehr so schlimm ist. Im Smartphone ist die Suchmaschine ja immer greifbar. Und googlen klingt nicht nach Wissenslücke oder schlechtem Gedächtnis, sondern nach Spiel, nach Herumstöbern und kindlicher Neugier.

Schließlich hat ja ein Kind den Namen geprägt. Der neunjährige Neffe des Mathematikers Edward Kasner hat in den 30er Jahren die Zahl mit einer 1 und 100 Nullen Googol genannt. Ein fröhliches Lautgegluckse für etwas unermesslich Großes. Das gab einem Konzern, der die unendliche Menge an Informationen der globalen Welt organisieren will, einen harmlos spielerischen Namen. Und der Welt ein neues, universalverständliches Wort.

Nun verfährt der Konzern umgekehrt: Google hat seine gewaltig angewachsene Ansammlung von Unter-Firmen aufgeräumt und dem neuen Mutterkonzern den Namen "Alphabet" gegeben. Die Firma eignet sich also einen bereits existierenden Begriff an. Und zwar nicht irgendeinen, sondern das Wort für die kleinsten lautlichen Einheiten der Sprache, deren DNA - die Bausteine unseres Denkens. Google-Mit-Gründer Larry Page erklärte die Namenwahl so: "Uns gefiel der Name Alphabet, weil er eine Kollektion von Buchstaben bedeutet, die für die Sprache stehen, zu den wichtigsten Innovationen der Menschheit gehören und der Kern davon sind, wie wir in der Google-Suche indizieren."

Das soll heißen: Erste Etappe der Menschwerdung war die Erfindung der Sprache, zweite Etappe ist die Erfindung des Werkzeugs, mit dem das Weltwissen erschlossen wird. Es gibt aber einen Unterschied: Der erste Schritt war eine Leistung der Gemeinschaft der Menschen zum Wohle aller, der zweite ist die Leistung eines Unternehmens, das weiter wachsen will. Natürlich nützt die Suchmaschine allen, doch ihr Zweck ist das Geldverdienen. Google hat das Suchen revolutioniert - das Buchstabieren sollten wir dem Unternehmen nicht überlassen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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