Kolumne: Gesellschaftskunde Keine Angst vor dem Wandel!

Düsseldorf · "Ich bin nun mal so" - das kann ein munteres Selbstbekenntnis sein, aber auch Ausdruck der Sorge. Dabei ist es erleichternd, sich selbst als ewig lernendes Wesen zu begreifen. Alles Erstarrte stirbt.

Nun wird wieder sprachlich Bilanz gezogen, und es werden Wörter prämiert, die unser Reden in diesem Jahr beherrscht haben. Dabei wurde nicht nur in Deutschland das "Je suis..." erkoren, die Bekenntnisformel "Ich bin Charlie" oder "Ich bin Paris", die nach den Anschlägen islamistischer Terroristen vor allem in den sozialen Netzwerken populär wurde. "Ich bin ...", das ist seit John F. Kennedys Berliner Rede 1963 die ultimative Solidaritätsbekundung, die absolute Identifikation. Im Fall der Anschläge sollte sie den Opfern signalisieren, dass sie nicht alleine sind. Im Schockzustand nach schrecklichen Ereignissen ist das verständlich. Da soll das "Ich bin" Haltung signalisieren - der Umwelt und ein bisschen auch dem verunsicherten Selbst.

In gewöhnlichen Zeiten aber verbirgt sich in "Ich bin"-Sätzen oft Sturheit. "Ich bin nun mal so" oder "Ich bin, was ich bin", das sind trotzige Selbstbekenntnisse, die den Unwillen verraten, über Veränderung nur nachzudenken. Das signalisiert auch Angst, denn Wandel hat mit Verunsicherung zu tun, mit dem bangen Fragen, wohin alle Neuerungen führen werden.

Doch Leben ist Werden. Alles Erstarrte stirbt. Und darin steckt keine Bedrohung, sondern das eröffnet viele kleine Momente des Aufbruchs, des Überdenkens, des neu, anders, besser Versuchens. Der Dichter Antoine de Saint-Exupéry hat es so formuliert: "Der Mensch braucht lange zum Geborenwerden." Das klingt zwar ein wenig nach Mühsal, nach einem ewigen Stadium der Unreife. Doch in Wahrheit ist es erleichternd, sich selbst als lernendes, reifendes, unfertiges Wesen zu betrachten, das Fehler machen darf und sich langsam vorantastet auf seinem Weg. Denn wer mit dem Bewusstsein lebt, dass die Dinge sich verändern und der Mensch gleich mit, der wird die Freiheit darin erkennen, das Frischluftige jedes Wandels.

Natürlich ist nicht jede Veränderung an sich schon gut. Das wird Leuten gerne eingeredet, wenn man ihnen Sicherheiten nehmen will, wenn sie Kürzungen schlucken sollen. Gern ist dann von neuen Freiheiten die Rede. Doch aus berechtigter Skepsis gegenüber solchen Verbrämungen sollte keine Feindschaft gegenüber allem Ungewohnten werden. Deutschland hat sich in diesem Jahr für viele überraschend positiv auf Wandel eingelassen, indem es Flüchtlinge willkommen hieß, ohne zu wissen, wie sie die Gesellschaft verändern werden. Nun gilt es, in diesem Prozess nicht bange zu werden. Der Mensch braucht lange zum Geborenwerden, die Gesellschaft auch.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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