Kolumne: Gesellschaftskunde Langeweile muss sein!

Viele Menschen fürchten sich davor, zu spüren, wie die Zeit vergeht. Darum füllen sie ihren Alltag mit Unternehmungen, setzen auf Erlebnisse und Zerstreuung - Hauptsache die Frage nach dem Sinn kommt nicht auf.

Mutter Teresa hatte als die größte Geißel der Reichen die Vereinzelung ausgemacht. "Die schlimmste Armut ist die Einsamkeit", hat sie mal gesagt. Und wer sich ein wenig umtut in der deutschen Wirklichkeit vor allem älterer Menschen, mag ihr Recht geben. Eine andere Geißel ist die Langeweile, ein Empfinden der Leere beim Verstreichen der Zeit. Und natürlich hat beides miteinander zu tun: Wer einsam ist, der ist ständig auf sich selbst zurückgeworfen. Der hört die Uhr ticken. Der muss sich ganz allein dieser beängstigenden Frage stellen: Wozu das alles? Wozu ist dem Menschen seine Lebenszeit gegeben?

Diese existenzielle Frage kann in der Langeweile auftauchen - und vielleicht ist sie es, die so viele Menschen dazu antreibt, sich zu zerstreuen. Es gibt ja unzählige Möglichkeiten, sich abzulenken, sich unterhalten zu lassen, sich die Zeit zu vertreiben. Auch, um nicht zu spüren, wie die Tage, Wochen, Jahre vergehen. Und sich damit auch den nagenden Sinnfragen nicht stellen zu müssen.

Die Unterhaltungsindustrie verdient bestens am Ablenkungsbedürfnis der Massen. So ist das Angebot von Computerspielen bis zu unendlich ausstattbaren Outdoor-Hobbys immer weiter gewachsen. Und das Gefühl für das unerbittliche Verstreichen der Zeit, das den Menschen in der Langeweile anspringt, schafft es nur noch selten ins Bewusstsein: Zur Jahreswende, an Geburtstagen, wenn ein Mensch stirbt - immer, wenn es Brüche gibt, wenn eine Klippe den Rausch, zu dem die Zeit geworden ist, aufhält.

Natürlich gilt auch für Journalisten: Du sollst nicht langweilen! Niemand wünscht sich die Qual, die etwa ein zäher Theaterabend, ein schlechter Vortrag, eine endlose Predigt bedeuten. Wer hätte nicht schon mal im Opernsessel oder in der Kirchenbank gelitten! Doch diese Art der Langeweile ist verursacht, sie quält, weil der Gelangweilte spürt, wie viel anrgegender er die Zeit hätten verbringen können. Doch hungern viele Menschen nach Erlebnissen, weil sie sich von äußeren Reizen versprechen, die innere Leere zu füllen. Wenn das nicht klappt, versuchen sie es mit dem nächsten Hobby, dem nächsten Event, das Kitzel verspricht. Dabei ist es hilfreich, die Zeit ab und an zu spüren und sich bewusst zu machen, wie viel im Leben nur Ablenkung ist. Und in der Rückschau wenig wert.

Das muss nicht belasten. Es hilft, den Alltag auszumisten, nicht jede Mode mitzumachen, die noch dollere Erlebnisse verspricht. Langeweile kann heilsam sein.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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