Kolumne: Gesellschaftskunde Leben in der Bequemlichkeits-Gesellschaft

Düsseldorf · Sich lästiger Pflichten zu entledigen, ist eine feine Sache. Allerdings kann die neue Lust an der Bequemlichkeit auch das Denken befallen – dann haben kritische Geister es schwer.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Leben in der Bequemlichkeits-Gesellschaft
Foto: Krings

Sich lästiger Pflichten zu entledigen, ist eine feine Sache. Allerdings kann die neue Lust an der Bequemlichkeit auch das Denken befallen — dann haben kritische Geister es schwer.

Das Leben wird immer bequemer. Das ist ein wichtiger Antrieb für Innovationen in unserer Zeit: Jeden Tag gibt es neue Ideen zur Termin-, Routen-, Lebensplanung per Mausklick, App oder Tweet. Die neuen Smartheiten erlösen von lästigen Pflichten, machen das Konsumenten-Dasein übersichtlicher. Darum gibt es Nachfrage für solche Produkte, und natürlich ist es erstrebenswert, sich das Leben so leicht wie möglich zu gestalten. Wer möchte schon zurück an den Waschtrog oder in unübersichtlichen Innenstädten auf ein Navi verzichten?

Allerdings machen diese vielen kleinen Bequemlichkeitsangebote das Leben auch konformer. Denn sich die lästigen Entscheidungen des Alltags abnehmen zu lassen, bedeutet auch, Teil einer Gruppe zu werden, die sich nach Mustern helfen lässt. Oft geben wir dafür unsere Daten preis, willigen in endlose Geschäftsbedingungen ein oder setzen das Häkchen für Ortungsdienste. Mit einem mulmigen Gefühl zwar, aber dann siegt doch die Bequemlichkeit. Schließlich hat man den Kopf frei für die wichtigen Dinge im Leben, wenn man die Pizza mit einem Klick bestellt. Und die Bestell-App auch nächste Woche den Lieblingsbelag noch kennt.

Nun ist Konformität nicht per se etwas Schlechtes. Es kann auch entlastend sein, einfach mit dem Strom zu schwimmen, zu bestellen, was alle bestellen, die Espadrilles zu tragen, die gerade alle kaufen oder das Sushi-Taxi zu ordern, das auch beim letzten Mal pünktlich ausgeliefert hat. Auch wenn im Zeitalter des Individualismus oft anders gepredigt wird: Man muss sich nicht ständig "neu erfinden", das kann man Madonna überlassen. Manchmal ist auch gut, was alle gut finden, zumindest ist es nicht deswegen schon schlecht. Originalität kann auch zum Selbstzweck werden.

Allerdings kann die Konformität im Kleinen das Selbstdenken im Großen einschläfern. Weil kritisches Bewusstsein anstrengend ist. Und weil es oft unbeliebt macht, die Verhältnisse anders zu beurteilen als die Mehrheit, vor allem, wenn man das auch noch äußert. Bequemlichkeit ist also eine feine Sache, wenn es um Alltag geht. Doch haben diese kleinen Dinge immer auch Einfluss auf das Bewusstsein. Und plötzlich haben es Menschen schwer, die von der Norm abweichen, neue Lebensmodelle ausprobieren oder erkennbar nicht "mit der Zeit gehen". Der Konformitätsdruck wächst, das zeigt sich zuerst bei den harmlosen Themen. Unvoreingenommenheit im Denken aber sollte jede Anstrengung wert sein.

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(dok)
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