Kolumne: Gesellschaftskunde Mut zur Niederlage

Eine Studentin versagt in der Quiz-Sendung von Günther Jauch - und versucht, Humor zu beweisen. Warum eigentlich? Über den angemessenen Umgang mit Niederlagen.

Es ist so leicht geworden, sich mit großer Wirkung zu blamieren. Ann Sophie Dürmeyer hat das erlebt, als sie beim Eurovision Song Contest am Ende null Punkte bekam und hinterher durch die Talkshows tingeln musste, um zu erzählen, wie das ist, gedemütigt zu werden. Eine Studentin aus Aachen macht die Phasen der öffentlichen Blamage gerade ebenfalls durch, weil sie als erste Kandidatin in der schier endlosen Geschichte der Quiz-Sendung von Günther Jauch gleich bei der ersten Frage patzte.

Beide Frauen sind jung, sehen gut aus und müssen aggressive Häme einstecken. Das Filmen und Gefilmt-Werden scheint in unserer Gesellschaft so alltäglich geworden zu sein, dass Menschen, die sich vor ein Millionenpublikum wagen, kein Aufregungsbonus mehr zugestanden wird. Wer vor die Kamera tritt und versagt, wird niedergemacht. Und soll sich nicht beschweren.

Bezeichnend ist, wie beide Frauen reagieren: mit Humor. Die erfahrenere Ann Sophie hat sofort ein selbstironisches Video veröffentlicht, in dem sie sich über die eigene Niederlage - und ein wenig auch über den nicht gerade gewagten Siegersong - lustig macht. Die Studentin aus der Quiz-Show schrieb einen Brief, in dem sie witzelt, sie habe zwar nicht die Million gewonnen, aber bereits den Hauptgewinn - das sei ihr Freund. In der Mediengesellschaft zählt das Cool-Bleiben, nur keine Enttäuschung zeigen, keine Verletzung, keine Scham. All das wären natürliche Reaktionen, doch der öffentliche Raum verlangt Abgebrühtheit. Die Show geht immer weiter, auch für die Verlierer.

Nun kann man das als gegeben hinnehmen: Niemand wird gezwungen, an Quiz-Shows teilzunehmen, die Blamage ist das bekannte Risiko. Doch die öffentlichen Niederlagen und der Umgang damit wirken auch zurück in die Gesellschaft. Sie geben Muster vor, an denen sich viele Menschen orientieren. Und so lehren die Fälle, dass authentische Reaktionen gefährlich sind, dass man ja nicht zeigen sollte, was man empfindet. Hauptsache man lächelt - wie die Sieger.

Was fehlt, ist eine Kultur der Niederlage. Ein wahrhaftigerer Umgang mit Fehlversuchen auch in der Öffentlichkeit. Bewundernswert sind Verlierer nicht, wenn sie tapfer lächeln oder Witze machen, sondern, wenn sie reflektieren können, was schieflief. Und dazu stehen.

Es muss furchtbar sein, vor Millionen Zuschauern Wissensfragen zu beantworten. Warum kann man das nicht einfach eingestehen? Es könnte anderen eine Warnung sein. Nicht jeder ist für den großen TV-Auftritt gemacht. Zum Glück!

Ihre Meinung? Schreiben Sie der Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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