Kolumne: Gesellschaftskunde Unbehagen über die Trauer-Routine

Meinung | Düsseldorf · Es wird für die Menschen immer schwieriger, auf schreckliche Nachrichten wie aus Brüssel zu reagieren. Manche twittern ihre Bestürzung in die Welt, andere färben bei Facebook ihr Profilfoto in belgische Landesfarben. Das wirkt schal und hilflos. Aber was können wir eigentlich tun?

 Unsere Autorin Dorothee Krings.

Unsere Autorin Dorothee Krings.

Foto: Krings

Erst haben die Islamisten in Paris auf das freie Leben in der Stadt der Cafés und Boulevards gezielt, dann in Brüssel auf das Herz Europas. Gestorben sind Zivilisten, Menschen, die ihrem Alltag nachgingen und nicht wieder zu ihren Familien zurückkehren werden. Es ist schrecklich, in den Stunden danach die Bilder der Verwundeten und Schockierten zu sehen. Und der Zerstörung an Orten, die eben noch voller Leben und Geschäftigkeit waren — und in dieser vertrauten Banalität voller Zukunft.

Es wird immer schwieriger, darauf zu reagieren. Politiker sprechen ihr Beileid aus, beschwören die westliche Welt, ihre Freiheit nicht aufzugeben, mahnen bessere Zusammenarbeit der Geheimdienste an. Man erschrickt bei dem Gedanken, das bereits als Routine zu empfinden. In den sozialen Netzwerken versuchen Menschen ihre Abscheu auszudrücken, twittern Bestürzungsformeln, posten Sätze mit vielen Ausrufezeichen, färben Fotos in Nationalfarben ein — und das sind immer noch wichtige Zeichen der Trauer, doch ist Empathie eben nicht unendlich steigerbar. Und die Bestürzung, hinausgestoßen in die leeren Weiten des Internets, wirkt doch schal in ihrer Hilflosigkeit.

Leugnen wäre töricht

Vielleicht ist das so, weil viele Menschen insgeheim bereits spüren, wie sie sich einrichten im Unbehagen. Wie sie sich daran gewöhnen, dass jede Reise, jeder Besuch einer Großveranstaltung, jeder Schritt in die Öffentlichkeit tödlich enden kann, weil Selbstmordattentäter nun mal kaum aufzuhalten sind. Und weil die Kriege, Krisen, ungerechten Verhältnisse in der Welt, die womöglich den Hass der Terroristen nähren, so mächtig erscheinen. So unbeeinflussbar. Natürlich drängt sich da der Eindruck auf, dass dem Einzelnen nur bleibt, in der global organisierten Unmündigkeit vor sich hinzuleben. Ein richtiges Leben im Falschen zu führen, wie es Adorno so schmerzlich treffend formuliert hat.

Es wäre töricht diese Ohnmacht zu leugnen. Doch hilft dieser Gedanke nicht weiter. Die Antwort darauf kann doch nur sein, trotzdem Haltung zu zeigen. Der Einzelne sollte sich den Impuls des Mitgefühls mit denen, die der Terror traf, nicht versagen und trotzig versuchen, in seinem Umfeld menschlich zu handeln. Nicht zu resignieren, nicht abzustumpfen, verlangt Kraft. Genau darin liegt die Würde.

Das ist klein gedacht, das ist hilflos, das ist das richtige Leben im Falschen, denn an den globalen Strukturen wachsender Ungleichheit ändert es nichts. Aber der Einzelne darf sich vom Gedanken an die großen Zusammenhänge den Sinn für das, was richtig, was human, was geboten ist, nicht zerstören lassen.

(dok)
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