Kolumne: Gesellschaftskunde Schade, dass es keine Dia-Abende mehr gibt

Mit der Entwicklung neuer Technik sind die Dia-Apparate von deutschen Couchtischen verschwunden. Doch mit ihnen starb nicht nur die Langeweile - das Bildergucken nach der Reise hat seine Besonderheit verloren.

Früher gab es ein Synonym für Langeweile: den Dia-Abend. Da luden Urlauber ihre Freunde, Familie, Nachbarn ein, es gab Käsebrote mit aufgeweichter Salzbrezel-Zierde, und auf dem Couch-Tisch brummte der Projektor. Für Stunden.

Noch mal das Meer. Und der Blick vom Hotelbalkon. Und das Bergpanorama. Und weil Urlauber selbst immer noch ganz erfüllt sind vom Erlebten und weil frisch nach der Rückkehr all die Geschichten, die an jedem Schnappschuss hängen, im Kopf von Reisenden lebendig sind, zogen sich Dia-Abende in die Länge. Weit über die Geduldsgrenze der Besucher hinaus.

Man könnte also erleichtert sein, dass der Dia-Apparat der Entwicklung neuer Medientechnik zum Opfer gefallen ist und heute niemand mehr auf dem Sofa das Gähnen unterdrücken muss. Doch mit dem Dia-Abend ist auch ein Anlass für Geselligkeit, für analoges Erzählen in fröhlicher Runde verloren gegangen. Heute werden ja nicht einmal mehr Fotos rundgereicht. Man lädt im Internet die digitalen Erinnerungen an den letzten Urlaub in einen Ordner, schickt seinen Bekannten einen Zugang oder veröffentlicht die Fotos gleich in einem der sozialen Netzwerke und wartet auf Reaktionen.

Freunde betrachten also jeder für sich, was der eine, der in die Sonne ziehen durfte, so erlebt hat. Es gibt lustige Bemerkungen im Internet, aber jeder schaut allein, die Anekdoten bleiben unerzählt.

Nun lässt sich natürlich auch eine digitale Fotosammlung in größerer Runde zeigen. Jedes Telefon lässt sich heute mit dem Fernseher verbinden, Urlaubsbilder also spielend einfach vorführen. Doch gerade die Vereinfachung hat dem Vorzeigen das Besondere genommen. Weil man theoretisch ganz leicht die Bilder zeigen könnte, tut man es nicht, ist das Bildergucken nicht mehr die Besonderheit, die der Dia-Abend noch war.

Damit geht nicht nur eine Erzähltradition verloren. Auch der Urlaub selbst verliert damit an Besonderheit. Es ist nichts Erstaunliches mehr, wenn Menschen nach Italien reisen oder in Ägypten vor den Pyramiden stehen. Man zeigt das mal schnell beim Bier in der Kneipe, wischt im Schnelldurchlauf an den Erinnerungen vorbei und ist, schwups, schon längst beim nächsten Thema.

Der Mensch ist empfindlicher geworden gegen die Langeweile, er rebelliert schneller, tut sich so etwas wie das Stillhalten beim Dia-Abend nicht mehr an. Dafür verschwinden Ruhepunkte aus seinem Leben, tauchen selbst Reisen in exotische Länder ein in den Fluss des Erlebten, dessen Strömung schneller wird. Mancher Schatz geht darin unter.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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