Kolumne: Gesellschaftskunde Stolz aufs Auto war gestern

Düsseldorf · Statussymbole sind in der Regel Güter, die der Einzelne sich leisten kann – Zeichen seiner wirtschaftlichen Potenz. Dabei könnte man auch stolz darauf sein, wenn in der eigenen Gesellschaft Solidarität praktiziert wird und man Anteil daran hat.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Stolz aufs Auto war gestern
Foto: Krings

Statussymbole sind in der Regel Güter, die der Einzelne sich leisten kann — Zeichen seiner wirtschaftlichen Potenz. Dabei könnte man auch stolz darauf sein, wenn in der eigenen Gesellschaft Solidarität praktiziert wird und man Anteil daran hat.

Gewöhnung schafft Realität. Das ist das Fatale an Entwicklungen, die sich so langsam vollziehen, dass sie kaum Kritik auslösen. Oder an Zuständen, die empörend sind, aber sich scheinbar unserem Einfluss entziehen.

So haben wir uns etwa daran gewöhnt, dass es in Wohlstandsgesellschaften Kinderarmut gibt. Ab und an unterlegen Studien das mit neuen Zahlen. Dann wird darauf hingewiesen, dass arme Kinder schlechtere Chancen in einem Bildungssystem haben, das ohnehin stark von der sozialen Herkunft abhängt. Oder dass allein das Gefühl, nicht dazuzugehören, das Wohl armer Kinder beeinträchtigt. Doch wie bei vielen Problemen, die tief mit der Struktur unseres Systems zu tun haben, führt das nur zu Schulterzucken und unguten Gefühlen. Und verstärkt das Empfinden, dass jeder selbst schauen muss, wo er bleibt.

Darum fühlen sich Eltern auch immer mehr unter Druck, den eigenen Kindern möglichst viele Bildungsangebote zu verschaffen. Sie glauben, dass alles von ihnen abhängt, dass sie die richtigen Schulformen, Nachhilfelehrer, Freizeit-Ergänzungsprogramme finden müssen, um den Kindern nichts zu verbauen. Chancen sind ja so schnell verpasst.

Phänomene wie "Helikopter-Eltern" sind zu Genüge beschrieben. Die Idee, man sei ganz alleine verantwortlich für die Zukunftschancen seiner Kinder, und die Gleichgültigkeit gegenüber Phänomenen wie Kinderarmut gehören zusammen. Sie fußen auf einem Denken, das die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher Ende der 80er Jahre in einem berühmten Satz zugespitzt hat: "There is no such thing as society — so etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht." Das ist vollendetes Einzelkämpfertum.

Wer so denkt, sieht in Gesellschaft nur eine lose Verbindung von Individuen und hält die Idee einer Solidargemeinschaft für das Hirngespinst von Menschen, die es nicht geschafft haben.

In Zeiten globalen Terrors und weltweiter Krisen setzt sich jedoch die Erkenntnis wieder durch, dass der Einzelne vieles nicht selbst in der Hand hat und nicht nur Schwache von einer Solidargemeinschaft profitieren. Doch das sollte nicht nur Krisenwissen sein, sondern Ausgangspunkt, neue Formen des verbindlichen Füreinandereinstehens zu entwickeln. Vielleicht sind Menschen dann irgendwann nicht mehr nur stolz auf das schöne Auto, das tolle Haus, das sie sich erarbeitet haben, sondern auch auf den Sozialarbeiter, der sich in ihrem Namen um benachteiligte Kinder kümmert.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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