Kolumne: Gesellschaftskunde Triebfeder Anerkennung

Oft ist es gar nicht der Leistungsdruck, der Menschen zur Selbstausbeutung treibt, sondern die Sehnsucht nach Anerkennung. Dabei kann man sich Selbstwertgefühl nicht verdienen.

Man muss nur mal mit Kindern Verstecken spielen. Man erlebt dann, dass es dabei natürlich nicht ums Verstecken geht, sondern ums Gefundenwerden. Schließlich verkriechen sich die meisten Kinder perfekt, quietschen vor Glück über Nischen, in die nur sie sich zwängen können, doch wenn der Sucher ergebnislos umherirrt, rufen sie schleunigst "Piep", verraten all ihre Verbergungsbemühungen sofort, nehmen das Verlieren in Kauf, alles, um nur ja nicht übersehen zu werden.

Der Mensch will beachtet werden, er braucht die Bestätigung von außen, denn scheinbar nährt sie das Selbstwertgefühl und hilft, die naturgegebene Einsamkeit des Individuums zu ertragen. Darum ist die Sehnsucht nach Anerkennung eine so starke Triebfeder: Heranwachsende strengen sich in der Schule an, um von Lehrern gesehen und Eltern gelobt zu werden. Sie werden der Pausenclown, um die Beachtung der Mitschüler zu bekommen, oder versuchen stiller, den einen guten Freund zu finden, mit dem sie alle Gruppendynamiken überstehen.

Erwachsene strampeln sich ab, um sich im Job hervorzutun, um bemerkt zu werden und Bestätigung zu finden. So hat all die Selbstausbeutung, die in modernen Unternehmen an der Tagesordnung ist, oft gar nicht so viel mit Leistungsdruck oder Prämien zu tun. Was die Menschen antreibt, ist die ungeheure Sehnsucht nach Beachtung. Das Streben nach den raren Momenten, da ein anderer einen wahrnimmt, wertschätzt, aus der Masse erhebt. Das sind Widerhaken in flüchtigen Zeiten, Daseinsbestätigungen, unscheinbare Augenblicke, in denen der Einzelne glaubt, seine kleine Existenz zu überschreiten. Darum ist Gesehenwerden überlebenswichtig.

Allerdings kann aus dieser Sehnsucht auch Sucht werden. Dann machen sich Menschen abhängig vom Urteil der anderen, gieren nach der Wertschätzung durch Kollegen, Freunde, egal wen und ordnen dem alles unter. Dann ist eine Existenz nur noch nach außen gerichtet - und das höhlt aus. Von Ehrgeiz zerfressen, sagt man.

In Zeiten, da vieles auf Wettbewerb ausgerichtet ist, ist es schwer, dem zu entkommen. Denn der Gedanke, dass jedes Leben an sich wertvoll ist, erscheint vielen nur mehr als weichlicher Quatsch. Doch Selbstwertgefühl lässt sich nicht verdienen, es speist sich aus einem tiefen Einverständnis mit dem eigenen Selbst. Und dazu gelangt man nicht, indem man Lob vom Chef anhäuft, sondern ein Leben führt, das in Beziehungen reifen kann.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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