Gesellschaftskunde Warum die Gesellschaft Helikopter-Eltern produziert

Ein Lehrer warnt vor Helikopter-Eltern. Doch deren Förder- und Kontrollwahn ist nur Zeichen für Fehlentwicklungen in der Konsum- und Konkurrenzgesellschaft.

Natürlich sind Erziehungsstile nur Symptome unserer Zeit. Wenn nun also ein erfahrener Lehrer wie Josef Kraus eine Abrechnung mit Helikopter-Eltern schreibt — also jenen Erziehungsberechtigten, die ihre Kinder verwöhnen, kontrollieren und mit Übereifer zur Frühförderung schicken — dann ist das ein Angriff auf einen bestimmten Elterntypus —, vielmehr aber noch auf eine Gesellschaft, die falsche Werte verfolgt.

Denn alle Auswüchse, die Kraus beschreibt, gehen zurück auf die Kommerzialisierung unseres Lebens. Offensichtlich ist das, wenn Eltern oder Großeltern ihre Kleinen mit Geschenken überhäufen, wenn zur Einschulung Weihnachten ist und jede Mini-Leistung mit Markenartikeln honoriert wird. Die Werbung hat den Menschen eingebläut, dass Kaufen glücklich macht. Folglich versuchen sie, ihre Liebe durch Materielles zu beweisen. Auch der Förderwahn vieler Eltern hat mit dem Lebensgefühl im Kapitalismus zu tun. Wenn Eltern bei der Arbeit selbst unter Leistungsdruck stehen, wenn ihnen vermittelt wird, sie seien jederzeit austauschbar durch noch besser Qualifizierte, noch günstigere Kräfte, dann ist es nur logisch, wenn sie ihre Kinder rüsten wollen für deren Konkurrenzkampf. Aus dem übersteigerten Frühförder-Eifer spricht also die nackte Angst, nicht mithalten zu können, dem eigenen Nachwuchs womöglich Chancen zu verbauen. Den Leuten wird ja gepredigt, jeder sei selbst seines Glückes Schmied. Also schmieden Eltern, die ihren Kindern Glück garantieren wollen, eben an deren Laufbahn.

Angst ist auch das Urgefühl, das übervorsichtige Eltern zu absurden Überwachungsmethoden treibt. Es ist Zeichen für die Egozentrik unserer Zeit, dass niemand mehr akzeptieren will, dass er das Schicksal nicht in der Hand hat, dass es in seinem Leben Unglücksfälle geben kann. In der Kontrolle der eigenen Kinder leben existenziell verunsicherte Menschen ihre Allmachtsfantasien aus und verlieren wie im Konsumverhalten dabei jedes Maß.

Zum Glück beschreibt Kraus Extremfälle. Die meisten Eltern haben sich ihren gesunden Menschenverstand bewahrt und erziehen ihre Kinder so gut sie können. So wie ihre Eltern. So wie deren Eltern. Alarmismus ist unangebracht. Skepsis gegenüber der Konsumgesellschaft nicht. Eine Gemeinschaft, in der zählt, was man hat, statt was man ist, lässt Helikopter-Eltern aufsteigen. Die holt man nur auf den Boden zurück, wenn sie begreifen, dass sie nicht herbeifördern können, was sie nicht vorleben. Erziehung ist vor allem eine Frage des guten Beispiels. Statt über Konzepte zu streiten, sollten wir also unser Handeln prüfen. Und die Werte, die uns leiten.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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