Kolumne: Gesellschaftskunde Was vom Feste übrig bleibt

Manche Weihnachtsbräuche sind hohl, weil die religiösen Inhalte viele nicht mehr interessieren. Doch selbst profan betrachtet lehrt uns der Advent, dass die Zeit vergeht - und wir sie sorgsam füllen sollten.

Nun leuchten also wieder die Sterne, Girlanden, Rentiere in Deutschlands Wohnzimmerfenstern und markieren mit hellem Licht, dass ein Fest naht und Menschen sich dafür schon einmal ein wenig glänzender einrichten wollen. Zwar hat das bunte Geblinke nachgelassen, und Weihnachtsmänner klettern auch kaum noch an Fassaden empor. Doch bleibt das Bedürfnis groß, das eigene Heim im Advent zu dekorieren, es mit Tannengrün, Kränzen, Gestecken und allerhand Gemütlichkeitsutensilien aus Filz, Wolle oder Holz weihnachtlich auszustaffieren. Deutschland macht es sich gemütlich.

Und wo es noch nicht recht winterlich zugeht, kommen eben der Kunstschnee auf die Tannenzweige und die Eisblumen-Abziehbilder an die Scheibe. Und wenn früh die Sonne sinkt, darf die CD mit Weihnachts-Jazz schon mal in den Player.

Nun kann man das beklagen wie den Kaufhaus-Spekulatius im Spätherbst oder die Verdrängung des Nikolauses durch den Weihnachtsmann. In der Tat sind die Vorbereitungen auf Weihnachten vielfach hohl geworden, weil religiöse Inhalte nur noch oberflächlich wahrgenommen werden. Und dann sagen sie nicht viel.

Trotzdem sollte man das Verzier- und Beleuchtungsbedürfnis nicht verdammen. Es ist nur Zeichen dafür, dass Menschen sich nach erkennbaren Abschnitten im Jahreskreis, nach kleinen Dämmen im schnell treibenden Fluss der Zeit sehnen. Aller Säkularisierung zum Trotz. Selbst wenn man aus den Augen verliert, dass ein Adventskranz die Zeit bis zum Fest der Geburt Christi einteilt, ist er doch ein wunderbar altmodisches Zeichen dafür, dass die Zeit vergeht. Dass Kerzen herunterbrennen. Dass Lebenszeit kostbar ist, unwiederbringlich, und lohnend verbracht werden sollte.

Unser Alltag signalisiert uns das nur noch selten. Gute Mitarbeiter sind im "Flow", sie spüren am besten gar nicht, dass die Zeit vergeht, dann sind sie besonders produktiv, lähmen sich nicht mit inneren Zweifeln am Sinn ihres Tuns. Auch in den Konsumräumen, durch die wir uns bewegen, ticken keine Uhren. Wir sollen verweilen, uns wohlfühlen, entspannt gönnt man sich viel mehr. Und schwups ist ein Nachmittag dahin. Doch darüber sollen wir nicht grübeln, dem Konsumenten soll alles als unendlich erscheinen. Darum gibt es jetzt Plastikkerzen mit künstlichem Docht, an dem ein Elektroflämmchen züngelt. Wenn das Fest vorbei ist, kann man diese Imitate einfach umdekorieren - für den nächsten Anlass.

Unsere Gegenwart versucht, uns den Schmerz der Endlichkeit zu ersparen, weil er Fragen aufwirft. Wir sollten nicht müde werden, sie zu stellen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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