Kolumne: Gesellschaftskunde Wenn Arbeit zur zerstörerischen Droge wird

Menschen, die zu viel arbeiten, sind noch immer die heimlichen Helden der Arbeitswelt. Dabei entspringt ihr Eifer oft einem Gefühl von Angst und Minderwertigkeit.

Es gibt eine Sucht, die nicht als Schwäche gilt: die Sucht nach Arbeit. Es ist sogar schick sich damit zu brüsten, wie viel man sich wieder zugemutet hat. Noch ein Projekt, noch ein Auftrag. Längst sind nicht mehr nur die Selbstständigen betroffen. Seit auch Angestellte behandelt werden wie Unternehmer ihrer selbst, verlieren manche das Gespür für die Grenzen der Selbstausbeutung. Workaholics sind noch immer die heimlichen Helden der modernen Arbeitswelten.

Es gibt eine Dokumentation, die das beleuchtet. In "Work hard, play hard" ist unter anderem ein junger Mann zu erleben, der sich gerade bei einem großen Unternehmen vorgestellt hat. Unerbittlich geht er nach dem Gespräch mit sich ins Gericht, vergleicht das eigene Auftreten mit den Kriterien der Personalentscheider, die er bestens kennt. Noch bevor er seine Stelle überhaupt angetreten hat, sieht er in sich selbst nur die Figur, die optimal funktionieren muss und der man keine Schwäche verzeihen darf. Man wird diesem Mann später kaum Anreize setzen müssen, damit er über seine Kräfte schuftet, weil er gelernt hat, mit dem Blick des Arbeitgebers auf sich selbst zu schauen - und das Übertreffen der Norm über alles zu stellen.

Das Problem an der Arbeitssucht ist ja gar nicht das zu große Pensum an Arbeit, das sich die Betroffenen zumuten. Wer seine Aufgaben gerne tut, einen Sinn darin sieht, sich in was auch immer verwirklicht, der wird davon nicht krank.

Denn er wird beizeiten eine Grenze setzen, andere Dinge in seinem Leben ebenfalls zum Zuge kommen lassen, Familie, Freunde, Hobbys, Ehrenamt. All das erfüllt ein Leben, lässt eine Persönlichkeit reifen. Auch zu der Ich-Stärke, die es braucht, dem Chef mal abzusagen. Einen Auftrag nicht zu übernehmen oder ein Projekt abzugeben. Zum Problem wird die Arbeit, wenn ein Mensch seinen Selbstwert in Arbeitsleistung bemisst. Dann bedeutet Normübererfüllung mehr Selbstwert, und die Selbstausbeutungsspirale beginnt sich zu drehen.

Es ist hier nicht die Rede von Überarbeitung aus wirtschaftlicher Not. Wenn Menschen Minijobs anhäufen müssen, um über die Runden zu kommen, ist das ein anderes Problem. Es geht um die selbstauferlegte Schufterei aus scheinbar freien Stücken. Weil Menschen glauben, sonst seien sie nichts wert. Oder verlören bald ihren Job. Oder verdienten ihre Stelle nicht. Das erzeugt inneren Druck, der krank macht, weil Menschen ihren Selbstwert an die falsche Sache hängen. Auch die Droge Arbeit hat zerstörerische Wirkung.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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