Kolumne: Gesellschaftskunde Wenn emotionale Bilder ethische Debatten ablösen

Die Interviews der krebskranken Brittany Maynard kurz vor deren Tod bewegen die Welt und beeinflussen eine schwierige Debatte - nicht durch Argumente, sondern durch Emotionen.

Er lebt inmitten einer temperamentvollen Familie, und er verliebte sich noch einmal gegen alle Wahrscheinlichkeit. Trotzdem will Alejandro sterben, weil er seit einem Badeunfall nur noch den Kopf bewegen kann und das Leben als Gelähmter unerträglich findet. Wie Javier Bardem diesen gestrandeten Seemann spielt in dem Film "Das Meer in mir", das ist nicht nur berührend, das hat viele Menschen zum Nachdenken gebracht über aktive Sterbehilfe und die Freiheit des Einzelnen, sein Lebensende zu bestimmen.

2004 war es ein gut gemachter Spielfilm, der für aktive Sterbehilfe eintrat - nicht mit Argumenten, sondern durch Emotionen, die nur ein Einzelschicksal hervorrufen kann. Zehn Jahre später ist es ein reales Schicksal, das die Menschen bewegt. Doch begegnen sie der Betroffenen wieder im Medium des Films. Die krebskranke Brittany Maynard hat ihrem Leben ein Ende gesetzt, solange sie den Zeitpunkt noch bestimmen konnte. Sie hat das auf ihrer Facebook-Seite angekündigt, und sie hat anrührende Interviews gegeben, in denen sie ihren Entschluss begründet. Die Filme sind in einem gediegenen Zuhause aufgenommen, mit Klaviermusik unterlegt, auch ihr Mann und ihre Mutter kommen zu Wort, und manchmal schnuppert ein hübscher Hund in die Kamera.

Die Frage, unter welchen Umständen Sterbehilfe ethisch vertretbar ist, ist rigoros nicht zu beantworten. Sie entscheidet sich im Einzelfall, und wer Brittany Maynard sieht und hört, wird sie nicht verurteilen können. Doch es ist bemerkenswert, wie im Youtube-Zeitalter Bilder mit der Ästhetik von Werbefilmen an die Stelle von Diskursen treten, wie Gefühle die öffentliche Meinung bestimmen. Das macht es komplexen Themen schwer. Es wirkt so zeitgemäß, aktive Sterbehilfe richtig zu finden, weil der selbstbestimmte Tod für Individualismus und Freiheit steht, zwei Werte, die in unserer Gesellschaft hoch im Kurs stehen. Brittany Maynard war eine sympathische Frau, die eine Familie gründen, ihr Leben leben wollte. Sie hat sich von einer Pro-Sterbehilfe-Organisation zur Identifikationsfigur machen lassen, und die hat die PR-Chance ergriffen. Sie hat Bilder einer Frau in die Welt gesandt, die man mag. Der Zuschauer leidet mit ihr - und schon ist er ihrer Meinung.

Eine andere Wahrheit ist, dass niemand Brittany Maynard die Angst genommen hat, ihren Weg bis zum Ende zu gehen, begleitet von den Mitteln der Medizin, die heute zur Verfügung stehen. Stattdessen hat sie eine radikale Entscheidung getroffen, hat sie ihrer Familie zumuten müssen und sich selbst.

Vielleicht war es für sie der richtige Weg. Ob er zum Vorbild taugt, darüber sollten wir diskutieren - sobald wir aus dem Bann der Bilder getreten sind.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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