Kolumne: Gott Und Die Welt Auferstanden aus syrischen Ruinen

Wie kann kulturelle Identität gewahrt werden? Durch Rekonstruktion, sagt Helmut Parzinger und schlägt den Wiederaufbau der syrischen Tempelstadt Palmyra vor.

Die Bürgerkriege im nahen und fernen Osten mit ihren anhaltenden Flüchtlingsbewegungen haben die Fantasie mancher Architekten beflügelt. Während die einen mobile, aber doch passable und ansehnliche Flüchtlingsunterkünfte entwerfen, denken andere darüber nach, syrische Städte am Niederrhein aufzubauen. Nun hat sich auch Helmut Parzinger zu Wort gemeldet, der als Prähistoriker eher ein Fachmann für den Altbaubestand ist. So schlägt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor, nach dem Ende von Terror, Krieg und Vernichtung die antike Oasenstadt Palmyra wiederaufzubauen. Das klingt zunächst so skurril wie manch anderer Wiederaufbau. Und doch haben sich viele realisierte Rekonstruktionen auch behauptet, sind Alltag und Teil der Gegenwart geworden. Dazu gehört bei uns sicherlich die Frauenkirche von Dresden, dazu wird in wenigen Jahren wahrscheinlich auch das Berliner Stadtschloss gehören. Und wer denkt schon bei den Bildern irgendeiner jubelnden Fußballmannschaft auf dem Balkon des Frankfurter Römers daran, dass auch dieses Gebäude im Zweiten Weltkrieg zerstört und in anschließender Friedenszeit erst wiederaufgebaut wurde. Das mag man Imitation nennen, die mal glückt, mal umstritten bleibt - wie beim Braunschweiger Residenzschloss. Doch wer in der Rekonstruktion das Kulissenhafte zitiert, muss einen Begriff vom Original haben; muss also wissen, was echt und was nur nachempfunden ist. Gerade in der Baugeschichte ist das eine heikle Aufgabe. Im Grunde widerspricht sie sogar dem Wesen des Bauens, das vom Wandel lebt. Wie gelungen eine Rekonstruktion ist, zeigt sich vor allem in der Wahrnehmung der Menschen. Denn auch Gebäude sind identitätsstiftend und Brückenschläge in die Vergangenheit. Geschichte an sich gibt es nicht; sie entsteht erst durch das Bewusstsein des Menschen und kann daher - wie auch ein Bauwerk - immer nur eine Konstruktion sein. Wir haben eine Vergangenheit, aber wir geben uns eine Geschichte.

Das alles spricht zunächst für die Palmyra-Pläne, und wer sie ein bisschen weiterspinnt, kann sich sogar vorstellen, wie die Sammlung der Spendengelder zum Wiederaufbau das Solidaritätsgefühl steigert. Allerdings wurde Palmyra bereits im dritten Jahrhundert zerstört. Die Stadt ist im Gedächtnis der Menschheit immer nur eine Ruine gewesen. Ihr Wiederaufbau klingt darum eher wie ein Masterplan der Tourismusbranche. Die Pflege Palmyras muss ein syrischer Gedanke sein, kein deutscher.

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(RP)
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