Gott Und Die Welt Der Mensch im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit

Die Hochleistungsmedizin verhilft vielen Eltern zum Kinderglück, wenn ihnen eine Zeugung auf natürlichem Weg verwehrt bleibt. Das hat grundlegende Folgen für unser Verständnis von Familie.

Eine der großen Erfindungen der Moderne ist die Vervielfältigung. Wir merken das nur nicht mehr, weil wir mit großer Selbstverständlichkeit davon Gebrauch machen. Wer denkt schon — am Kopierer stehend oder auch die Tageszeitung in der Hand haltend —daran, dass einst im Mittelalter ein kundiger Kopist einige Jahre darauf verwenden musste, ein Buch abzuschreiben. Sehr oft war es damals ja die Heilige Schrift oder ein anderes erbauliches Werk. Die Reproduzierbarkeit der Schrift wurde mit der Erfindung Gutenbergs natürlich zum Segen für die Bildung und Aufklärung der Menschheit. Bis wir in einen wahren Rausch der Reproduktion verfielen: mit der Welt im Film, der Kunst in der Fotografie und der Musik auf CD. Was aber alles und überall verfügbar wird, kann seinen Wert und seine Einzigartigkeit verlieren. Vielleicht ist bei uns auch deshalb die Gier nach Originalität so groß geworden. Warum sind Menschen eigentlich bereit, für ein Kunstwerk mitunter viele Millionen Euro zu bezahlen? Und warum ist der Zorn auf Menschen so groß, die solche Originalität mit guten Fälschungen bedrohen? Der Philosoph Walter Benjamin hat diesen Vorgang mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beschrieben; das war in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Inzwischen sind wir ein paar Schritte weiter und bei der Reproduzierbarkeit des Menschen angelangt. Dahinter steht eine Hochleistungsmedizin, die wir natürlich auch für uns wünschen und die wir im Notfall fordern und einklagen; dahinter steht auch das unverhoffte Glück der Eltern, die auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können.

Verteufelungen sind fehl am Platze, was aber ein Nachdenken nicht verbietet. Unter anderem darüber, wie sich unser Bild vom Menschen wandelt und damit unsere Vorstellung, was Familie, familiäre Bindung und Nachkommenschaft künftig bedeuten könnten. Derzeit wird viel über die Habilitationsschrift des Wissenschaftlers Andreas Bernard gesprochen, in der nicht zu erfahren ist, dass es in Deutschland 140 Reproduktionszentren gibt, in denen jedes Jahr über 10 000 Kinder außerhalb des Mutterleibs zum Leben verholfen wird. Darunter sind Kinder, die heute als Eltern den Samenspender sowie die Eizellenspenderin haben können, die Leihmutter und schließlich noch die beiden Eltern. Diese elterliche Fünftheit dokumentiert mehr eine Technik als so etwas wie Vertrauen und Geborgenheit. Was dabei immer auch mitschwingt, ist die Hoffnung und Sehnsucht auf eine Familie. Hochleistungsmedizin wird dann in den Dienst dieses Ideals gestellt, das sich durch den Vorgang der Reproduktion aber zum Laboratorium wandelt. In dem alten Begriff von der Zeugung eines Kindes steckt die Zeugenschaft der Eltern; mit ihnen wird die Herkunft bezeugt und eine Familiengeschichte erzählt. Das fällt mit dem Einsatz der Reproduktionsmedizin weg. Die Studie von Andreas Bernard heißt darum "Kinder machen".

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(RP)
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