Kolumne: Gott und die Welt Die Alternative ist in Verruf gekommen

Einst war die Alternative ein Ausweis von Meinungsvielfalt und demokratischer Politik. Inzwischen ist sie fast ein Schimpfwort geworden. Weil unsere Politik in schwierigen Fragen alternativlos sein soll.

Kolumne: Gott und die Welt: Die Alternative ist in Verruf gekommen
Foto: Schröder

Nichts an diesem Wort ist schlecht, fies oder irgendwie verdächtig. Und doch unterliegt es seit Monaten einem herben Negativtrend; seine Sympathie-Eintrübung ist enorm. Die Rede ist von der Alternative, die Deutschlands zuletzt erfolgreichen Rechtspopulisten im Namen führen und ihr damit etwas Verbotenes angeheftet haben, etwas Teuflisches. Schwefelgeruch scheint seitdem über diesem Wort zu wabern, das doch nichts anderes meint, als die Möglichkeit, eine Option zu haben und frei wählen zu können.

Die Alternative ist ein Grundprinzip aller Demokratie und eine Bedingung der Mündigkeit. Auch darum konnte das Wort erst so spät, im 20. Jahrhundert, populär werden — in einer Zeit, in der zunehmend Normen hinterfragt, neue Werte gesucht und zum Teil mutig ausprobiert wurden. "Die Alternativen" waren in den 70er- und 80er Jahren eine Bewegung junger Menschen, die für ihr Leben neue Formen fanden und es viel stärker als bisher unter ökologischen Gesichtspunkten zu führen suchten. Das war zugleich der Ausgangspunkt für eine Politisierung der Alternative — vor allem mit dem Auftreten der Grünen.

Das Spektrum unserer Meinungen ist größer, und die Entscheidungsfindung dadurch manchmal auch anstrengender geworden. Doch von einer Qual der Wahl kann nur der reden, der im Grunde gar nicht wählen oder zumindest nicht verantworten möchte, was er wählt. Das ist zwar nicht sofort das Ende von Demokratie, doch zeigt eine solche Haltung eine gewisse Müdigkeit, einen ersten kleinen Schritt zur Entmündigung. Noch gibt es bewährte kritische Reflexe auf solche Trends. Eine Politik, die "alternativlos" genannt wird, schafft es immerhin noch zum Unwort des Jahres.

Die Wahl stigmatisiert diese Formulierung; ihre Wirkung aber bleibt. Weil eine Politik, die als alternativlos deklariert wird, jede Debatte für beendet erklärt. Und der Trend besonders auf kirchlichen Veranstaltung, Vertreter der "Alternative für Deutschland" gar nicht erst einzuladen, dokumentiert die Neigung, eine bestimmte Debatte auch gar nicht aufzunehmen.

Das ist mehr als eine Stilfrage: Die Weigerung, AfD-Politiker auf Foren kirchlicher Großveranstaltungen zu beteiligen, grenzt Menschen aus — nämlich die Wähler — und unterbindet somit Meinungsvielfalt. Dahinter steckt oft Angst und mangelndes Selbstvertrauen, aber auch Misstrauen in die Kraft demokratischer Prozesse. Wer aber den Diskurs unterbindet, führt ihn trotzdem — dann aber auf Podien, die nicht öffentlich und selten sichtbar sind.

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