Kolumne: Gott Und Die Welt Die Tücken der Sommerlektüre

Keine Jahreszeit wird so sehr mit dem Lesen verbunden wie der Sommer. Doch dabei können besonders für Ungeübte erhebliche Gefahren lauern.

In Wahrheit sind Sommerlektüren abzulehnen. Weil nämlich die sogenannte Sommerlektüre eine Art Ausnahmezustand beschwört. Das heißt, im Sommer wird gelesen, und in aller Regel sind damit bloß die Sommerferien gemeint.

Das trifft sich übrigens mit der lexikalischen Beobachtung, dass die deutsche Sprache eine Frühjahrs-, Herbst- und Winterlektüre gar nicht kennt. Wer also bei seiner Jahresplanung die Buchlektüre auf den Sommer verlegt, wird zu anderen Jahreszeiten literarisch wohl eher abstinent sein und überdies klären müsste, ob die Definition eines Sommers sich an den Vorgaben der Meteorologen oder der Astronomen orientiert, an den Schulferien oder den Temperaturen. Etwa: Eine Sommerlektüre beginnt ab 20 Grad Celsius.

Das kann angesichts unserer derzeit extremen Temperaturschwankungen zu ziemlich diskontinuierlichen Lektüren führen, was beispielsweise bei Tolstois "Krieg und Frieden" eine Orientierung erschwert und bei Krimis zu unerwünschten Cliffhangern führen kann. Derartige Grenzziehungen setzen überdies einen quantitativen Rahmen, der den klassischen Sommerlektüren-Liebhaber vor Beschränkungen stellt. Mit der "Suche nach der verlorenen Zeit" von Marcel Proust dürfte es also eng werden.

Die Sommerlektüre hat darum sehr oft nicht viel mit einem wirklichen Spaß an der Literatur zu tun, sondern mehr mit saisonal bedingtem Zeitvertreib. Vielleicht scheinen darum auch alle Sommerleser, die sich Hals über Kopf ins Meer der Literatur stürzen müssen, wollen, dürfen, können (Richtiges bitte ankreuzen), so intensiv auf Beratung angewiesen. Der Sommer ist darum auch das fruchtbarste Biotop für Lektüretipps. Gerne von Prominenten. Auch auch von gänzlich Nicht-Prominenten; oder von Kindern, Buch- und Obsthändlern, Taxifahrern, Kinderlosen, Kinderreichen sowie bekennenden Nicht-Lesern. Der Originalität sind da kaum Grenzen gesetzt. Im "Zeit"-Magazin ward zuletzt eine putzige Umfrage in deutschen Stadtbibliotheken veröffentlicht, die angaben, welches Buch bei ihnen im vergangenen Jahr am häufigsten ausgeliehen wurde. "Gregs Tagebücher" obsiegten landauf, landab, was zumindest zeigt, dass viele junge Menschen immer noch den Wert unserer Ausleih-Tempel zu schätzen wissen.

Nur Potsdam macht uns Sorgen. Der Spitzentitel dort: "Säure-Basen-Haushalt - wie Sie Ihren Körper wirkungsvoll entsäuern". Sommerlektüren sind eigentlich abzulehnen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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