Kolumne: Gott Und Die Welt Ein Hocker als Heldentat

Mutig ist, wer es mit sich selbst aufnimmt. Zum Beispiel Orkan, der mit 24 Jahren seinen Abschluss in einer Produktionsschule nachholt.

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie von einer Heldentat hören? Ich bin in dieser Woche einer ganzen Reihe davon begegnet. Eine steht jetzt bei mir zuhause. Orkan hat sie mir verkauft. Sie hat vier Beine, ist massiv aus Buche, und ich kann drauf sitzen: ein Hocker.

Was macht ein schlichtes Holzstück zu einer Heldentat, fragen Sie? Orkan hat nicht nur geschickt über den Preis des Möbelstücks verhandelt, sondern mir auch seine Geschichte erzählt. Es ist die eines Schulabbrechers, ohne Ausbildung, ohne Arbeit. Eine von vielen, zumindest in meiner Heimatstadt. Mit einem Unterschied: Orkan strandete irgendwann in einem Klassenzimmer, das gleichzeitig Arbeitsplatz ist. Produktionsschule heißt das kleine Projekt in einem großen diakonischen Unternehmen. Lernen und arbeiten gehen dort Hand in Hand, jeden Tag von acht bis vier. Dabei entstehen nicht nur besagte Hocker, bei Orkan reifte auch eine Idee: Was, wenn ich versuche, einen Abschluss zu schaffen und Einzelhandelskaufmann zu werden? Verkäuferisches Talent hat er, das würde ich ihm ohne Zögern bescheinigen. Aber zu einer Heldentat gehört mehr - nämlich Mut.

Besonders mutig ist, wer es mit sich selbst aufnimmt. Wie Orkan: runter vom Sofa, Routinen durchbrechen, Hilfen annehmen. Heute ist der 24-Jährige auf dem Weg in eine Ausbildung und Arbeit.

Warum ich Ihnen von dieser Heldentat erzähle? Weil mehr als 1600 arbeitslose Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren, um allein beim Beispiel Wuppertal zu bleiben, nicht hinnehmbar sind. Gerade bei jungen Menschen müssen wir ansetzen. Mit aller Kraft und mit viel Kreativität. Es lohnt sich, in fantasievolle Projekte zu investieren. Nicht um staatliches Handeln zu ersetzen, sondern um es zu ergänzen, wo Menschen durchs soziale Netz zu fallen drohen. Das tun wir als Kirche. Die Produktionsschule ist ein Beispiel von vielen. Mit einer Million Euro im Jahr fördern wir Beratung und Beschäftigung von Menschen, die nicht von der derzeit guten Arbeitsmarktlage profitieren. Das sind vor allem die Langzeitarbeitslosen.

Es gibt keine Erfolgsgarantie, aber immer wieder Erfolgsgeschichten wie die Orkans. Ein junger Mensch wittert seine Chance. Er spürt: Der Zug ist nicht abgefahren. Da geht etwas.

Hoffnung zu geben - das ist unsere Aufgabe. In der Kirche ebenso wie in der Gesellschaft. Daran werde ich nun immer erinnert, wenn ich auf dem neuen Hocker Platz nehme.

Der rheinische Präses Manfred Rekowski schreibt hier an jedem vierten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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