Kolumne: Gott Und Die Welt Ein kleines Loblied auf die Kartoffelferien

Der Herbst ist keine gute Zeit zum Reisen; er ist eine Zeit des Innehaltens. Vor der eigenen Haustür kann man den Wandel der Jahreszeiten erleben.

Die Ferien beginnen dieses Mal so ein bisschen unruhig. Die Fernflüge sind krankheitsbedingt fraglich, auf den Straßen ist erstmals in diesem Herbst mit Glatteis zu rechnen. Wenn unsere Mobilität in Gefahr gerät und eingeschränkt zu werden droht, wächst das Gefühl vermeintlicher Unfreiheit. Und das ist fatal für eine Zeit, die das Höchstmaß an Ungebundenheit zu versprechen scheint - die Ferien.

Wahrscheinlich ist ein solches, fast anarchisches Gefühl immer ein Trugschluss. Im Herbst aber ist ein solch unbändiger Freiheitsdrang geradezu absurd. Weil die freien Tage im Herbst langsame Tage sind, zu denen auch nicht unbedingt das Reisen gehört. Die Haltung in den Herbstferien ist eine der Gelassenheit, vielleicht auch Achtsamkeit für die Welt gleich vor der Haustür. Das war bei den sogenannten Kartoffelferien wörtlich zu verstehen. Diese alte Einrichtung - die es vereinzelt noch bis in die 60er Jahre gab - ist so skurril, dass sie nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag hat.

Es gibt natürlich Schattenseiten dieser früheren Freizeitbeschäftigung vornehmlich in ländlichen Gebieten. Denn das Helfen der Schulkinder bei der Kartoffelernte von Hand konnte eine Form von Kinderarbeit annehmen. Es gibt aber auch viele Berichte von einer unbeschwerten Zeit, in der für ein paar Tage erfahrbar wurde, woher das stammt, was irgendwann daheim auf den Teller gelangt - und was heute mit aufwendigen Schulexkursionen pädagogisch wieder vermittelt werden soll.

Es geht nicht um irgendeine kernige Bodenständigkeit oder verklärende Heimatliebe. Sondern um ein erlebtes Gefühl für den Wandel des Jahres und unseres Lebens, der sich nicht in der Karibik abspielt, sondern dort, wo wir leben. Hier und jetzt ist der Herbst.

Die paar freien Tage sind dann wie ein kurzes Innehalten: zwischen der vergangenen sonnenwarmen Opulenz des Sommers und des langsamen Rückzugs der Natur im nahenden Winter. Noch aber ist nichts vorbei; noch ist nichts entschieden, auch wenn die Öffnungstage der italienischen Eisdiele gezählt sind. Auf dieser Schwelle stehend ist es zu früh für Besinnlichkeit (der Advent ist noch lange nicht in Sicht und eigentlich auch unvorstellbar). Ein gelingendes Leben entspringt der Muße, wussten schon die antiken Denker. Eine ziemlich alte Wahrheit.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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