Kolumne: Gott und Die Welt Gastronomiekritiker - Poeten unserer Zeit

Seit TV-Köche Superstars und Kochbücher Bestseller sind, bereiten immer weniger Menschen ihre Speisen selbst vor. Als hätten wir die Essenskultur an Experten delegiert.

Nachdem Sterne-Restaurants für viele die letzten unerforschten Orte dieser Welt, Fernsehköche in den Olymp der Heroen aufgestiegen und Kochbücher Bestseller geworden sind, ist es nur folgerichtig, dass die Gastronomiekritiker mit der Beschreibung und Bewertung des Vorgesetzten den Status von Volkspoeten erklommen haben. Wem dieser Einstiegssatz jetzt zu lang erscheint, möge bitte einschlägige Kritiken der nimmersatten Rezensenten nachlesen.

Ein Meister unter den feinsinnig nörgelnden Pottekiekern ist Jürgen Dollase, der zwar in Oberhausen geboren wurde, seinen Gaumen aber in Paris schulte. Dollase ist nicht nur Gastronomiekritiker, sondern auch Musiker und Künstler. Im 19. Jahrhundert würde man an dieser Stelle das Wort Genie bemühen, zu Recht, wie die folgende Kostprobe belegt.

Wobei vorweggenommen sei, dass das Wortgezauber einem Schweinekopf gilt: "Sensorisch bleibt von der Schnauze in erster Linie eine spezifische Textur, die zwischen der von Fett und Fleisch liegt, einen leichten Widerstand produziert und sich im Mund eher langsam auflöst." Spüren wir nicht alle in diesem Moment die Kargheit unserer Existenz, in der eine solche Gaumenparty bisher nicht stattfand? Wir lesen und staunen, wissen am Ende wahrscheinlich aber nicht genau, worum es eigentlich geht. Und so verziehen wir uns - Bußgang der Koch-Dilettanten - in die Frittenbude.

Aber auch dort empfängt uns der große Dollase, wobei sein Grollen übers Fast Food uns nicht wirklich aus der Fassung bringen kann. Wohl aber sind es seine Worte, die sich mit expressionistischer Urgewalt über den gemeinen Hamburger hermachen. Der wird nämlich als pampig-feuchte Masse beschrieben, was kein Wunder sei, da "spärlich dimensionierte Sauce" auch noch in das Brot eingezogen ist. Das Fleisch empfindet er wegen extremer Übergarung ausgesprochen trocken. Es folgt noch dies und das über die geschändete Zwiebel und das gepeinigte Gemüse, ehe zum finalen Gesamtakkord angesetzt wird, wonach die Verkostung eines Hamburgers "einem Biss in die entspannte Unterarm-Muskulatur gleicht". Nach dieser Metapher wird man keinem Hamburger mehr unvoreingenommen gegenübertreten können.

Dieser Kult ums Kochen und Essen und Bewerten gedeiht komischerweise in einer Zeit, da immer weniger Menschen zu kochen bereit sind - als hätten wir die Essenskultur an Experten delegiert. Und dann stehen wir Endverbraucher an der Supermarktkasse und werden beschämt mit dem Tipp des Tages: "Zucchini - jetzt mal vegetarisch!"

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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