Kolumne: Gott Und Die Welt Nicht in meinem Namen!

Wir lassen uns unsere Werte, unsere Freiheit, unser Vergnügen nicht nehmen - von niemandem, erst recht nicht von Menschen, die vorgeben, im Namen eines Gottes zu bomben.

Am Morgen nach dem schrecklichen Terror von Paris verbreitete sich in den sozialen Netzwerken das Zitat eines Zeichners der Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" , die im Januar selbst Ziel eines Anschlags geworden war: "Freunde aus aller Welt, danke, dass ihr für Paris betet, aber wir brauchen nicht mehr Religion! Wir glauben an Musik! Küsse! Leben! Champagner! Freude! Paris steht für Leben!"

So kurz nach den Anschlägen eine spontane und nachvollziehbare Reaktion. Wir lassen uns unsere Werte, unsere Freiheit, ja, unser Vergnügen nicht nehmen - von niemandem, erst recht nicht von Menschen, die vorgeben, im Namen eines Gottes zu bomben und wahllos Menschen erschießen. Nicht aber die Religion ist Gift, sondern was einige Menschen aus ihr machen. Religion leitet sich vom Lateinischen "religio" ab. Darin steckt "religare": sich rückbinden. Religion meint eine Hinwendung zu Gott - aber nie eine Abwendung vom Menschen. Religion bezieht immer den Menschen mit ein. Wo dies nicht geschieht, da herrscht Fundamentalismus: die Abwendung vom Menschen im Namen Gottes.

Muslime in aller Welt sind genau wie die Christen entsetzt darüber, dass ihre Religion für eine Ideologie missbraucht wird. Daher posten sie auf Facebook Fotos, auf denen sie ein Schild hochhalten: "Nicht in meinem Namen!" Denn sie wissen: Wahre Religion produziert keine Menschenverachtung, sondern ruft nach einer Zivilisation des Miteinanders. Religiöse Menschen solidarisieren sich mit ihren Nächsten und bekennen sich zur Barmherzigkeit. Genau da berühren sich die Gottesbilder von Christen, Muslimen und Juden.

Als vor 50 Jahren das Zweite Vatikanische Konzil (1962 - 1965) zu Ende ging, hieß es in der Erklärung "Nostra aetate" über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen: "Die Kirche verwirft jede Diskriminierung eines Menschen und jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht."

Brauchen wir heute, in unserer scheinbar so aufgeklärten Welt, noch Religionen? Dazu hat der Heilige Vater bei seiner Rede vor dem Europarat im Jahr 2014 gesagt: "Aus christlicher Sicht sind Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft berufen, einander zu erhellen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und, falls nötig, sich wechselseitig von den ideologischen Extremismen läutern, in die sie fallen können..." Dies gilt auch und gerade nach der schrecklichen Barbarei, mit der der IS Paris überzogen hat.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki schreibt hier in jeder dritten Woche im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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