Gott Und Die Welt Osterfreude statt Osterstress

Osterspaziergänge in ihrer klassischen Variante hat der Klimawandel praktisch ausradiert. Wer jedenfalls mit Goethes Versen auf den Lippen am Ostersonntag flanieren will, wird sich mehr nostalgisch denn erhaben fühlen. "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick", heißt es zu Beginn des Osterspaziergangs im "Faust". Nun blickt der Frühling uns recht hold und recht belebend bereits seit Februar an, so dass wir zu Ostern im Grunde längst frühsommerlich gestimmt und obendrein ohne jede Erinnerung an Eis und Schnee sind.

Die Botschaft des Osterfestes ist natürlich mehr als ein Klimabericht. Doch kann selbst die erwachende Natur als ein Kommentar zur Auferstehung gelesen werden. Die Lebensgeister sind geweckt. Und auch das hat Goethe gut erkannt und besungen: "Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden." Alles am Osterfest ist Leben und Freude und vor allem Aufbruch: aus "niedriger Häuser dumpfen Gemächern", wie es im "Faust" heißt; aus "der Straßen quetschender Enge" und aus der "Kirchen ehrwürdiger Nacht". Ein paar Zeilen später wird Goethe sogar Getümmel auf Himmel reimen. Das ist phonologisch und nach alter Verslehre zwar nicht ganz rein, aber es ist auch keine Blasphemie. Im Getümmel bricht das farbenfrohe Leben aus. Die Freude ist zu Ostern selten heimlich, still und leise; sie wird mit anderen geteilt und dadurch zugleich verdoppelt. Ostern ist ein Fest des Evangeliums, der frohen Botschaft. Dazu gehören auch die Geschenke, die längst den Status von harmlosen Aufmerksamkeiten aufgegeben und sich mächtig aufgeplustert haben. So ist auch die Osterfreude zu einem Geschäft geworden - mit Nebenwirkungen: Aus der Freude wird alsbald Pflicht und aus der Pflicht irgendwann Stress. Das scheint zwangsläufig so zu sein.

Aber nur bis zur Erinnerung an diesen hektischen Einkaufstag, der einen irgendwann in eine Buchhandlung und alsbald in die Warteschlange anderer Gestresster führte. Ein Kind, das am Down-Syndrom litt, löste sich daraus und kehrte mit einem opulenten Bildband zurück. Dieses Buch sei aber ziemlich teuer, sagte die Mutter. Für Hedda nicht, antwortete das Kind sofort. Und wir? Blieben stumm, verharrten, bedachten dies und das und jenes. Und fühlten uns beschenkt von diesem Kind.

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(RP)
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