Kolumne: Gott Und Die Welt Sommer, Sonne, Schleichgang

Wenn der abendliche Riesling auf einmal Sommerwein heißt, merkt man: Keine andere Jahreszeit lässt uns derart nach ihrer Pfeife tanzen.

Alles geht jetzt deutlich langsamer. Als ereigne sich die Welt in Super-Slow-Motion und würde uns nur noch mit ein paar Impressionen beliefern: von vormals verhaltens-originellen Hunden, die plötzlich leinengängig sind; von Kleinkindern, die scheinbar von der Straße verschwunden und allenfalls unter großflächigen Sonnenschirmen ihrer Wägelchen zu finden sind; von Damen mit grotesk pompösen Chinafächern, die wir achselzuckend als Teil des mitteleuropäischen Alltags hinnehmen; und schließlich vom älteren Buchhändler in der kleinen Seitengasse, der unerschrocken "Krieg und Frieden" als Strandlektüre empfiehlt.

Alles geht seinen Gang, aber eben nur im Schleichgang. Und was liegenbleibt, bleibt liegen. "Sommer ist die Zeit, in der es zu heiß ist, um das zu tun, wozu es im Winter zu kalt war", wusste der Schriftsteller Mark Twain. Eine Terz bodenständiger gesprochen: Wir lassen in sommerlicher Hitze den lieben Gott einen guten Mann sein - was zugegebenermaßen eine zweifach heikle Anmaßung ist: Denn zum einen ermächtigen wir uns, Gott einen guten Mann sein zu lassen, zum anderen nähren wir die Vorstellung, dass es auch einen unguten Gott geben könnte.

Aber wir schweifen rheinisch ab; dabei sollte es doch an dieser Stelle vor allem recht sommerlich zugehen. Auch deshalb, weil keine andere Jahreszeit uns derart nach ihrer Pfeife tanzen lässt: Der abendliche Riesling heißt auf einmal Sommerwein. Wir sind in Sommeranzügen nach Sommerfahrplänen unterwegs. Und an lauen Sommerabenden sehnen wir für die anstehenden Sommerferien schon etwas sommersprossig das gemietete Sommerhaus herbei - von dem uns kein Sommerschlussverkauf, sondern nur noch eine fiese Sommergrippe abbringen könnte.

Doch Sommer ist nicht gleich Sommer. Weshalb wir aus dieser tiefgreifenden Menschheitserfahrung zu differenzieren gelernt haben zwischen Frühsommer und Altweibersommer, Hochsommer und Indianersommer, Mittsommer und seit geraumer Zeit auch Kultursommer.

Sommer ist also fast immer. Wie konnten wir bloß - so fragen wir uns heute - das nur vergessen, als wir uns vor drei Wochen in Strickpullis noch durch die Woche zitterten und unserem Unmut mit Beifall für die falsche Seite Luft machten? Mit "Gefällt mir" unterstützten wir damals auf Facebook inbrünstig grimmig die Seite "Frühling Arschloch Herbst und Winter".

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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