Kolumne: Gott Und Die Welt Warum wir aus der Geschichte wenig lernen

Vergangenes scheint für die Gegenwart nur wenig lehrreich zu sein. Auch deshalb, weil sich jede Generation als einzigartig begreift.

 Unser Autor Lothar Schröder.

Unser Autor Lothar Schröder.

Foto: Schröder

Die Ausgaben für Waffen steigen weltweit wieder deutlich. Langstreckenraketen werden erprobt, Atomwaffen in Betracht gezogen. Auch scheint die Demokratie selbst in westlichen Ländern erheblich an Attraktivität verloren zu haben. Und in der Europäischen Union kommt nationalstaatliches Denken wieder in Mode und wird bei der Abschottung vor Flüchtlingen auch exekutiert. Natürlich langt das noch nicht für ein düsteres Untergangsszenario. Doch stellt sich die simple Frage, warum das so ist. Warum also Verhaltensweisen wirkmächtig werden, von denen man glaubte, dass sie längst für falsch erkannt und daher für immer abgelegt wurden. Allgemeiner formuliert: Warum scheinen die Menschen aus der Geschichte offenkundig nicht allzu viel zu lernen? Denn wäre die Kenntnis der Vergangenheit tatsächlich ratgebend für die jeweilige Gegenwart, so hätte der erste Krieg der Menschheitsgeschichte zugleich der letzte sein müssen. Die talmudische Weisheit, dass das Geheimnis der Versöhnung Erinnerung heißt, klingt gut, wird aber zu oft von den Untaten der Menschen widerlegt. Die Geschichte ist zumindest kein sonderlich einflussreicher Schulmeister, zumal jede Generation sich von Neuem dem Vergangenen zuwenden und seine Schlüsse daraus ziehen muss. Vergangenheit ist darum nie vergangen, sondern wird erst durch unsere jeweilige Aneignung erfahrbar. Geschichte wird aber auch deshalb selten als lehrreich empfunden, weil jede neue Generation ihr Leben und ihre Zeit als einzigartig begreift. Diese Zeit wird gelebt, genau jetzt. Und sie scheint sich von allem bisher Dagewesenen zu unterscheiden. Das ist kein Phänomen nur unserer Zeit. "Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, dass die Völker aus der Geschichte nichts gelernt haben", wusste bereits der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Die Geschichte einfach verstummen zu lassen, ist ein Zeichen von Selbstermächtigung. Ein Hinweis darauf, dass Herkunft für die Zukunft irrelevant ist. Zeit als lineare Bewegung: Eins ergibt das andere. Altes wird abgelegt, Neues geboren, als gäbe es so etwas wie ein Ziel, das zu erreichen ist. Es gibt einen anderen Begriff von Historie, das ist die Heilsgeschichte, wie sie etwa das Christentum kennt. Damit wird nun nicht der Fortschritt verneint, das Fortschreiten selbst aber als eine immer noch sinnvolle Nachfolge begriffen: "Tut dies zu meinem Gedächtnis", lautet die Aufforderung Jesu.

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(RP)
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