Kolumne: Gott Und Die Welt Warum wir so gerne übers Wetter wettern

Kein Thema dürfte so beliebt sein wie unser Schimpfen übers Wetter. Weil einfach jeder damit zu tun hat. Dabei dokumentiert all unser Gerede vor allem eines: unsere Ohnmacht gegenüber dem Unabwendbaren.

Natürlich reden jetzt alle übers Wetter! Was denn sonst, zumal dieser Mai-Beginn höchstwahrscheinlich der kälteste seit Menschengedenken ist - also seit Aufzeichnung der Wetterdaten - und uns den spätesten beziehungsweise längsten Winter aller Zeiten bescheren wird. Was tun? Darüber reden. Wer immer das sogenannte Wetter erfunden hat, er müsste mit dem höchstdotierten Kommunikationspreis bedacht werden. Und das aus verschiedenen Gründen. Zunächst: Wetter ist irgendwie immer; darum haben auch alle etwas mit ihm zu schaffen. Jeder kann also pausenlos mitreden. Wichtig ist zudem, dass das Reden übers Wetter negative Potenziale freisetzt. Denn in der Tat wird weit öfter über das Wetter geschimpft und geflucht, eine Haltung, die schon im Wort hinterlegt ist: Wir "wettern" gerne übers Wetter. Frühere Jahrhunderte kannten noch eine erkleckliche Zahl von Schimpfwörtern, die allesamt mit dem Wetter-Zusatz ein bisschen nachgewürzt wurden. Das Wettermaul und die Wetterkröte dienten früher ebenso der Diskreditierung wie der Wetterhund und die Wetterhure. Doch wir kommen vom Thema, genauer: vom Wetter ab, das schon deshalb genug Gesprächsstoff liefert, weil es (freundlich gesagt) macht, was es will; oder finsterer gesprochen, schlichtweg unberechenbar ist. Genau das fuchst uns; dass bei all unseren hübschen Plänen - Grillen am Wochenende, Zelten an der Küste, Radeln durchs Bergische - das Wetter unplanbar bleibt. Und was stellen wir nicht alles an, um etwas mehr Sicherheit zu bekommen! Während der Anfänger bei Allerwelt-Portalen wie wetter.de sich Gewissheit über die meteorologischen Zustände der nächsten drei Tage zu verschaffen sucht, bedienen sich Wetterfeinfühlige bei Agrarwetter-Diensten, um dort die letzten Wahrheiten auch über Luftfeuchtigkeit, Bodenfrost, Bedeckungsgrad des Himmels sowie maximale Windböen zu erhaschen. Wir betreiben viel Aufwand dafür, etwas mehr Gewissheit über das zu bekommen, was unausweichlich und unabwendbar ist. Das zu akzeptieren, fällt uns schwer. Und so versuchen wir, das, worüber wir keine Macht haben, in unseren Worten zu bannen. Mit unserem Gerede übers Wetter tun wir so, als hätten wir Menschen das letzte Wort. Dabei dokumentiert es nur unsere Ohnmacht. Wir leben nicht mit dem Wetter, sondern im Widerstreit zu ihm. Früher muss es einvernehmlicher zugegangen sein - belegt in den lebenspraktischen und augenzwinkernden Worten der Urgroßmutter: Besser so ein Wetter als überhaupt kein Wetter.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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