Kolumne: Gott Und Die Welt Wenn rostige Boote zur letzten Hoffnung werden

Schiffe sind Symbole der Rettung. Für viele Flüchtlinge erfüllt sich diese Hoffnung nicht. Auch davon erzählt ein altes Hörspiel: "Das Schiff Esperanza".

Das Reclam-Heftchen hat gut 40 Jahre auf dem Buckel. Und dementsprechend sieht es aus: Das einst leuchtende Gelb ist besonders an den Rändern angeschmuddelt, der dünne Papprücken hat sich schon gelöst. Zum Einsatz kam es in der Klasse 7b, wie es der schon blass gewordene Bleistifteintrag noch verrät. Außerdem scheint das Stück in besagter 7b erstaunlicherweise aufgeführt worden zu sein, denn im Personenverzeichnis sind auch die Namen von Mitschülern verzeichnet. Meiner steht hinter der Figur des Maates namens Krucha.

Das legendäre Hoerschelmann-Hörspiel "Das Schiff Esperanza" ist einem nicht zufällig in die Hände gefallen. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer mit vielleicht bis zu 500 Toten ließ den alten Reclamband erneut traurige, unfassbare Aktualität werden. In dem Hörspiel der Nachkriegszeit schmuggelt ein Kapitän Flüchtlinge unter Deck. Er setzt diese dann bei Nacht auf einer Sandbank aus und macht sie Glauben, dem rettenden Ufer nah zu sein. Tatsächlich sind sie auf hoher See und dadurch dem Tode geweiht. Darunter ist dann auch sein eigener Sohn. Der Schlepper als Mörder.

Im Mittelmeer sollen Menschenschmuggler ähnlich gehandelt und das Flüchtlingsschiff versenkt haben. Für viele Menschen sind solche Boote mehr als nur eine Hoffnung; sie sind meist die letzte Hoffnung. Schiffe sind dafür seit alters her Sinnbilder. Die Arche Noah mag das berühmteste sein. Die Sintflut heutzutage aber ist reines Menschenwerk. Krieg, Verfolgung und Hungersnöte treiben an zur ungewissen Flucht. Nur wer keinen Ausweg mehr kennt, verstaut seine Zukunft in einem rostigen, seeuntauglichen Kahn.

"Das Schiff Esperanza" ist ein Stück Literatur und damit auch als Metapher tauglich. Mit ihr können auch wir uns auf dem Schiff sehen: als Flüchtling oder Matrose oder Kapitän. Die Welt ist zwar unermesslich groß; doch dadurch, dass sich unser Handeln mittlerweile in viele Regionen dieser Welt auswirkt, wird sie zu einem Nachen. Unser Handeln kennt längst keine staatlichen Grenzen mehr. Und so kann unser gutes Recht, von einem Leben in Freiheit Gebrauch zu machen, möglicherweise die Lebensfreiheit anderer beschränken.

Der Maat Krucha ist ein Handlanger, kein Nutznießer. Aber er wird eingeweiht in das Schicksal der blinden Passagiere. Er zählt bloß jene, die von Bord gehen, und behauptet dann: "Sonst weiß ich nichts."

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(RP)
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