Kolumne: Mit Verlaub! Der Politik tun Visionen gut

Am Beispiel der beiden unterschiedlichen SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt wird deutlich, dass ein Macher-Image allein dem Politiker nicht Größe verleiht.

Helmut Schmidt verstand sich in seiner Amtszeit von 1974-1982 als "Erster Angestellter der Bundesrepublik". Das roch nach Büropflanze, Kreissparkassen-Ambiente, nach "irgendwas mit Management". Indes, der Mann funktionierte und imponierte. Andere nannten Schmidt mit einiger Berechtigung "Krisenmanager". Nicht falsch war ein spöttisches "Schmidt Kosmos" - in bewusster Abgrenzung zu seinem Amtsvorgänger Willy Brandt. Der wurde im Bonner Regierungsviertel aufgrund seines erdfern wirkenden Wesens als "Willy Wolke" verulkt.

Willy Brandt (1969-1974) besaß etwas, was Schmidt mehrfach öffentlich verächtlich gemacht hat: politische Visionen. Und Brandt hatte, wie es sein im August verstorbener Berater, Freund und Co-Visionär Egon Bahr einmal herrlich drastisch ausdrückte: "mehr Instinkt im Hintern als andere im Hirn." Schmidt dagegen machte stets den Eindruck des kühlen Verstandesmenschen. Manchmal blaffte er betont intellektuelle Kabinettsmitglieder wie Bundesinnenminister und Professor Werner Maihofer an, er möge bitte "keine Girlanden reden", und im Übrigen möge jemand, der Visionen in der Politik vermisse, einen Arzt aufsuchen.

Auch die engsten Berater, die sie um sich wissen wollten, machten die Unterschiede zwischen dem Visionär Brandt und dem Macher Schmidt deutlich. Brandt hatte neben Denkerfreund Bahr noch den fein gewebten Stilisten und Journalisten Klaus Harpprecht an sich gebunden; Schmidt vertraute neben Sprecher Klaus Bölling vor allem dem begnadeten Verwaltungsfachmann Manfred Schüler. Historisch wirkmächtiger war Visionär Brandt. Seine Aussöhnungspolitik mit dem Osten entsprang eben jenen von Schmidt verächtlich gemachten Visionen, die erste, tastende Schritte auf dem Weg zur später realisierten deutschen Einheit waren. Schmidt wiederum hatte keinen großen überwölbenden Plan für seine Kanzlerschaft. Als es einmal galt, das von ihm 1977 diagnostizierte Mittelstreckenraketen-Übergewicht Moskaus notfalls durch Nato-Nachrüstung zu beheben, scheiterte er an Brandt und SPD-Träumereien von einer atomwaffenfreien Welt. Das lehrt uns: Politische Größe verlangt mehr als Staatsdiener-Tüchtigkeit.

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(RP)
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