Kolumne: Mit Verlaub! Eurochristen und geistiger Muskelschwund

Heinrich Böll und Günter Grass hätten die moderne Christenverfolgung angeprangert. Viele schweigen. Der Publizist und Christ Alexander Kissler kritisiert einen zerknirschten "Meaculpismus".

Die Verfolgung, Drangsalierung, Ermordung von Christen in Afrika, Asien und dem Nahen Osten wird leider zu selten von christlichen Politikern und Politikerinnen thematisiert. Eine der rühmlichen Ausnahmen ist der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder. Wo bleiben eigentlich unsere Bücher schreibenden Großintellektuellen? Ein Heinrich Böll und wahrscheinlich auch ein Günter Grass - die beiden deutschen Literaturnobelpreisträger der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts - hätten bestimmt zur Feder gegriffen oder ihren Mund aufgemacht gegen das schreiende Unrecht, das Christen als weltweit am meisten verfolgter Religionsgruppe angetan wird.

Unter den öffentlichkeitswirksamen Publizisten ist der Berliner Autor Alexander Kissler ein gutes Beispiel für Widerstandsgeist gegen alle Zeichen von Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, insbesondere den Anhängern Jesu. Ende August ist Kisslers im Gütersloher Verlagshaus erscheinende Streitschrift "Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss" auf den Buchmarkt gekommen. Ich halte nichts von der Aussage des TV-Journalisten Hanns Joachim Friedrichs, dass sich Journalisten mit keiner Sache gemein machen sollten, nicht einmal mit einer guten. Mit Verlaub, wieso eigentlich? Deshalb wünsche ich der klugen Streitschrift Kisslers viele aufmerksame Leserinnen und Leser und dem Bundestag viele Lautsprecher gegen die Christenverfolgung der Neuzeit.

Neulich berichtete der künftige Düsseldorfer Regionalleiter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, Notar Hans-Christoph Schüller, über die Bemühungen, Christen im Heiligen (in Wahrheit: ziemlich unheiligen) Land zu unterstützen und sich karitativ für das lateinische Patriarchat in Jerusalem zu engagieren. Auch hier gilt so wie generell zur Flüchtlingsproblematik: Man sollte primär alle örtlichen Hilfs- und Stabilisierungsmöglichkeiten in Betracht ziehen, damit Menschen nicht gegen ihren Willen ihr Heimatland verlassen müssen.

Kissler wendet sich zu Recht gegen grassierende Formen eurochristlicher Zerknirschung und einen "Meaculpismus", einen Schuldkomplex aus Angst und Unkenntnis. Leiden wir womöglich bereits unheilbar an geistigem Muskelschwund? Kissler beschreibt eine Diskussion in den Niederlanden, die kurze Zeit nach den Terroranschlägen vom 11. September stattfand und die Frage aufwarf, wer einen neuen Voltaire nötiger habe - der Westen oder der Islam. Resultat: Fünf von sechs Diskutanten meinten in "sündenstolzer Larmoyanz" (Kissler), der Westen brauche einen neuen Aufklärer wie Voltaire. Wie absurd.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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