Kolumne: Mit Verlaub! Häufiges Wählen hält die Demokratie frisch

Längst greift die Unsitte um sich, längere Legislaturperioden für sinnvoll zu halten. Wenn schon ein halbes Jahrzehnt zwischen Wahl und Neuwahl, dann nur im Verbund mit mehr direkter Demokratie.

Sehr viele nicken heftig, sobald so geklagt wird: "Kaum hat sich eine Regierung richtig eingearbeitet, sind ihre Mitglieder und diejenigen der Regierungsparteien und Regierungsfraktionen durch den heraufziehenden Wahlkampf bereits wieder in ihrem Elan gelähmt." Kurzum: Es werde zu häufig und zu eng aufeinander folgend gewählt. Nun ja, manche demokratische Karteileiche hält es ohnehin für entbehrlich und lästig, zur Wahl aufgerufen zu werden. Wer sich im Übrigen als Abgeordneter und/oder Minister insgeheim wünscht, länger wirken zu können, bis der Souverän erneut die Chance zur Einflussnahme, Stellungnahme, Korrektur in Wahlen und Abstimmungen bekommt, der befürwortet die fünfjährige Legislaturperiode auch für den Bundestag. In den vergleichsweise bedeutungsarmen Landesparlamenten ist sie längst eingeführt. Im Europaparlament, dessen Parlamentarier sich wichtiger machen als sie (noch) sind, war es nie anders: Der Wähler muss seit 1979 ein halbes Jahrzehnt lang warten, bis er wieder Souveränität ausüben darf.

Mit Verlaub, das ist eine arge Zumutung. Gerade das Europaparlament müsste sich in erheblich kürzeren Abständen zur Wahl stellen, am besten so wie das US-Repräsentantenhaus alle zwei Jahre. Das erhöhte die Betriebsamkeit und den Bekanntheitsgrad der in Straßburg und Brüssel überwiegend inkognito Tätigen; und die Untätigen dort könnten es sich in ihren gepolsterten Sesseln nicht so lange unbehelligt bequem machen.

Der demokratische Souverän, dieses sich selbst oft fremde Wesen, müsste sich eine längere Legislatur aus politischem Selbstbewusstsein verbitten. Vier Jahre von der Wahl bis zur Neuwahl sind das Äußerste. Wenn überhaupt, wäre eine Korrektur von vier auf fünf Jahre nur vertretbar, wenn im Gegenzug mehr Plebiszite auf Bundesebene eingeführt würden. In den Ländern mit ihrem für Exekutive und Legislative so bekömmlichen wie auskömmlichen Halbjahrzehnt-Fristen zwischen zwei Wahlen gibt es wenigstens zum Ausgleich mehr Formen direkter Demokratie.

"Ja", stöhnen die Fans längerer Phasen zwischen Wahlen, "was ist mit den ständigen Wahlterminen, müssten wir uns davon nicht endlich erlösen?" Meine Meinung dazu ist, dass häufige Wahlen Demokratie und Demokraten frisch halten.

Und dies noch: Politiker beziehungsweise die Holzklasse-Abgeordneten, die über Parteilisten ins Parlament geraten sind und aus Angst vor dem Wähler und um ihre Mandats-Verlängerung in Sichtweite von Wahlterminen die Arbeit einstellen oder albern populistisch werden, möchte man doch sowieso nicht als Volksvertreter haben - nicht für vier und erst recht nicht für fünf Jahre. Oder?

Ihre Meinung. Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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