Mit Verlaub! Unser Waffenschein heißt Führerschein

Wir schütteln unsere Köpfe über die Amerikaner und ihre Liebe zu Colt und Gun. Unsere Narreteien sind Rasen und Drängeln.

Kolumne: Unser Waffenschein heißt Führerschein
Foto: Michels

Wir Deutsche mokieren uns ja sehr gern und nicht zu Unrecht über die waffenstarrenden Amerikaner, die dem Recht, eine Waffe zu tragen, sogar Verfassungsrang verliehen haben. "Sind die noch bei Trost, die Amis?" - der Satz gehört bei uns zum Party-Standardrepertoire entgeisterter Deutscher, wann immer sie beieinanderhocken und kopfschüttelnd feststellen, wie ein Volk so uneinsichtig sein kann.

Nun versetzen wir uns in eine vergleichbare Party-Szenerie auf der anderen Seite des Atlantiks, irgendwo zwischen New York und San Francisco. Jemand in der Runde erzählt womöglich von seiner jüngsten Visite in Good Old Germany und von den dort gemachten Erfahrungen mit irrwitzigen Rasern und frechen Dränglern auf unseren Autobahnen. "The Germans must be crazy", "Die Deutschen müssen verrückt sein" - wer außer den nicht Selbstkritischen unter uns verstünde solche entgeisterten Reaktionen von Amerikanern beim Party-Talk nicht? Unsere bundesdeutschen Waffennarren ballern nicht wild in der Gegend herum, sie sitzen hinterm Steuer. Ihr Waffenschein heißt Führerschein.

In diesen Tagen heißt eine Kampagne für mehr Verkehrssicherheit "Runter vom Gas". Sie richtet sich zwar zuallererst an Motorradfahrer, appelliert aber generell mit diesem Rat an das Selbstbewusstsein der Geschlechter: "Echte Männer/Starke Frauen rasen nicht." Man soll ja nicht die Hoffnung allzu schnell fahren lassen; aber dass sich Raser und Drängler von solchen gut gemeinten Tipps zur Vernunft bringen lassen, ist dann doch ähnlich unwahrscheinlich wie ein einsichtiger amerikanischer Waffenfreak. In beiden Fällen haben wir es mit kollektivem Irresein von beträchtlichen Teilen zweier Völker zu tun, die als kultiviert, zumindest als zivilisiert bezeichnet werden.

Man könnte mit Blick auf die "Runter vom Gas"-Aktion des Bundesverkehrsministeriums und des Deutschen Verkehrssicherheitsrats verzweifelt vermuten, dass sie bei Rasern und Dränglern nichts bewirken werde, weil bekanntlich gegen Dummheit selbst die Götter vergeblich kämpften.

Der immer wieder zur Verteidigung von jungen und älteren Asphalt-Cowboys zitierte Spruch "Freie Fahrt für freie Bürger" ist ähnlich scheinliberal und nicht weniger blödsinnig als die Aussage eines Waffenlobbyisten in Kansas oder Kentucky, ohne Gun und Colt unterm Sofa sei er kein freier Mann. Egal wer in Kürze im Weißen Haus und in einem Jahr im Kanzleramt das Sagen haben wird - er oder sie wird auf die beiden sehr speziellen Narreteien dieser Völker wieder Rücksicht nehmen. Leider.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(mc)
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