Mit Verlaub! Vier große Alte sind leider verstummt

Schmidt, Genscher und Herzog sind tot, Kohl ist schwer krank. Was hätte uns dieses Quartett nicht alles zu sagen, ob zu Europa oder zum deutsch-russischen Verhältnis.

Mit Verlaub!: Vier große Alte sind leider verstummt
Foto: Michels

Mit Altbundespräsident Roman Herzog ist innerhalb von 14 Monaten der dritte von vier großen Alten der deutschen Politik von uns gegangen. Im November 2015 starb Alt-Kanzler Helmut Schmidt, Ende März 2016 Hans-Dietrich Genscher, der 18 Jahre lang Außenminister war, und nun der Mann, der dem Verfassungsgericht und dem Amt des Bundespräsidenten Gewicht und Stimme gab.

Wie gern würde man in dieser Zeit weltpolitischer Verwerfungen etwas Wegweisendes hören vom Vierten im Bunde. Aber der 86 Jahre alte Helmut Kohl ist schon zu Lebzeiten in die Geschichte eingegangen und krankheitsbedingt fast verstummt.

Was auffiel an den Mahnungen Schmidts, Genschers und Herzogs und an den seltenen Wortmeldungen Kohls, war die Sorge um den Zusammenhalt der EU und um das Verhältnis zu Russland. Man könnte es so zusammenfassen: Zerstört nicht, was nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs in Deutschland und Europa aufgebaut wurde.

Genscher, der wandelnde Vermittlungsausschuss mit einem Schuss diplomatischen Genies, schrieb zum Thema kurz vor seinem Tod: Das Streben nach Macht über andere, nach Vorherrschaft, sei Ergebnis alten Denkens. Das zielte gegen den aggressiven Landnehmer Putin. Aber Genscher schrieb auch diesen Rat: Wir sollten nicht nur mit dem Finger auf Putin zeigen. Es gebe Kräfte in der transatlantischen Allianz, die die alte Teilungslinie in Europa nicht überwinden, sondern nach Osten verschieben wollten.

Alle vier warben für klugen Realismus und blieben skeptisch gegenüber Sanktionen gegen den riesigen Nachbarn, die das russische Volk träfen, gewachsene Völkerfreundschaften belasteten und deutscher Industrie und mittelständischer Wirtschaft schadeten. Wenn man die Mahnungen für vernünftig hält, braucht man sich nicht als "Putin-Versteher" beargwöhnen zu lassen.

Ob sich die Gewitterwolken über dem deutsch-russischen, dem russisch-amerikanischen Verhältnis und über Europa bald verziehen, muss bezweifelt werden. Dafür ist der Präsident in Moskau zu machtversessen und der künftige US-Präsident zu unberechenbar. Und die Spitzen an Spree und Seine? Das Höflichste, was sich sagen ließe, wäre: Sie geben sich Mühe.

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