Kolumne: Mit Verlaub! Wo ist die Klasse der politischen Klasse?

Düsseldorf · Beeindruckend und abstoßend zugleich, was an Rhein, Spree und Potomac so alles im Angebot ist – und wie viele (noch) darauf hereinfallen.

Beeindruckend und abstoßend zugleich, was an Rhein, Spree und Potomac so alles im Angebot ist — und wie viele (noch) darauf hereinfallen.

Was für eine politische Woche! Man schwankt zwischen Faszination und Abgestoßensein angesichts von Dreistigkeit, Heuchelei, Verführbarkeit. Führenden Figuren der politischen Klasse zwischen Washington, Berlin und Düsseldorf fehlt es an Klasse, und den Verführten mangelt es zu häufig an der Fähigkeit zum reifen Urteil. Nur ihnen gilt der Satz von Papst Franziskus als Entschuldigung: "Das Urteilsvermögen funktioniert in Krisenzeiten nicht."

Im Weißen Haus reißt ein egozentrischer Baulöwe per Federstrich Bewährtes ein, sodass er den Eindruck eines Abriss-Unternehmers macht. Trump ist kein Konservativer, wie suggeriert wird, sondern ein Revoluzzer. Ein Konservativer agiert nämlich nach dem Rat des Heiligen Paulus: "Prüfet alles und bewahret das Gute." Trump und sein nationalistischer Chefideologe Stephen Bannon (zuletzt gab es einen vergleichbaren Finsterling namens Michail Suslow vor vier Jahrzehnten im Moskauer Kreml) setzen rücksichtslos ihr versprochenes Umsturzprogramm in Szene. Jeder Umsturzversuch ist auch ein öffentliches Faszinosum, bis zum Tag, an dem sich auch der Magen derjenigen umdreht, die zuvor Ungenießbares mit Heißhunger verschlungen hatten.

Von Trump auf das SPD-Duo Hannelore Kraft/Martin Schulz zu kommen, erscheint gewagt. Dennoch: Wie die beiden ihren Anhang um den Finger zu wickeln bemüht sind, fasziniert und stößt zugleich ebenfalls ab. Schulz hat als Präsident des Europaparlaments wie die dickste Made im Brüsseler und Straßburger Speck gelebt - gerade auch vom Geld der "kleinen Leute", die er nun im Gewand des Heilsarmee-Kanzlerkandidaten umschmeichelt. Sozialdemokratin Kraft soll sich nach eigenen Worten "wie Bolle" freuen, dass wir Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidenten bekommen - der aus NRW kommt. Ach herrje. Wie würden sich Rheinländer und Westfalen erst freuen, wenn Ministerpräsidentin Kraft endlich den Mut aufbrächte, ihrem kläglich agierenden Innenminister Ralf Jäger klarzumachen, was politische Verantwortung heißt.

Zum Gespann Angela Merkel/Sigmar Gabriel: auch hier Faszination plus Abgestoßensein. Gabriel schmäht plötzlich jene in Europa nicht abgestimmte, vom Bundestag nicht beschlossene "Hereinspaziert"-Einladung der Kanzlerin an Zuwanderer im Herbst 2015. Inhaltlich hat Kritiker Gabriel zwar recht, aber sein aufrechter Gang kommt zu spät. So sehen Helden aus.

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(mc)
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