Politisch Inkorrekt Die Fünf-Prozent-Hürde hat sich überlebt

Rund sieben Millionen abgegebene und gültige Stimmen bei der Bundestagswahl haben keinerlei Auswirkungen auf die Sitzverteilung und die Regierungsbildung – ein Zustand, der so nicht bleiben sollte.

Rund sieben Millionen abgegebene und gültige Stimmen bei der Bundestagswahl haben keinerlei Auswirkungen auf die Sitzverteilung und die Regierungsbildung — ein Zustand, der so nicht bleiben sollte.

Als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2011 die Fünf-Prozent-Hürde für zukünftige Europawahlen kippte, bestätigte es zwar grundsätzlich die Rechtmäßigkeit von Sperrklauseln bei Wahlen, mahnte aber zu deren Überprüfung, falls sich die politischen Gegebenheiten verändern.

Nach der Bundestagswahl vom vergangenen Sonntag erscheint dieser Zeitpunkt gekommen. Ursprünglich eingeführt wurde die Fünf-Prozent-Hürde, um den Lehren aus der Weimarer Republik Rechnung zu tragen. Eine Zersplitterung des Parteiensystems erschwert die parlamentarische Arbeit und vor allem die Formierung regierungsfähiger Mehrheiten. Das ist zunächst ein Argument, dem man sich kaum verschließen kann, wenngleich es historisch nicht vollständig zu überzeugen vermag. Weimar ging nicht unter, weil es zu viele Parteien gab, sondern weil sich die Demokraten, das Bürgertum, zu wenig wehrhaft zeigten und letztlich zwischen Kommunisten und Nazis aufgerieben wurden. Von solchen Zuständen sind wir heute weit entfernt. Natürlich bin ich persönlich froh, dass Parteien wie die NPD oder MLPD mit ihren wirren, teils gefährlichen Vorstellungen bei Bundestagswahlen keine Chance haben. Auch auf Yogi-Flieger und Spaßparteien kann ich verzichten.

Ein Blick auf das Ergebnis des vergangenen Sonntags macht aber das Nachdenken über die Sinnhaftigkeit dieser Sperrklausel notwendig. Fast sieben Millionen Stimmen, rund 16 Prozent, fallen unter den Tisch. Ist das noch im Sinne des Grundgesetzes? Ist damit noch jede Wählerstimme gleich viel wert? Und was ist mit dem strategischen Wählen? Wie viele Menschen wählen regelmäßig etwas anderes, als sie wollen, um nicht ihre Stimmen zu verschenken?

Wahlen sollen die politische Stimmung im Land widerspiegeln. 44 Millionen Deutsche haben am Sonntag gewählt. 4,8 Prozent von ihnen FDP, 4,7 Prozent AfD, 2,2 Prozent Piraten. Muss unsere Demokratie vor solchen Parteien geschützt werden? Ich denke nicht. Eine Sperrklausel hat sicher Sinn, vielleicht zwei oder drei Prozent, damit es für Wirrköpfe nicht irgendwann zu einfach wird. Aber Parteien, die meistens ohne viel Geld und Medienpräsenz, sagen wir, mehr als eine Million Wähler begeistern, sollten mitreden und mitentscheiden dürfen im Parlament unseres Volkes. Mag sein, dass es dann zukünftig für die etablierten Parteien etwas ungemütlicher wird.

Na und? Konkurrenz belebt das Geschäft, und die Demokratie wahrscheinlich auch.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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