Politisch Inkorrekt Wenn der Widerstand Mathematik unmöglich macht

Immer mehr Begriffe aus unserem Alltag werden aus Gründen der politischen Korrektheit verändert oder getilgt. Für Fortgeschrittene, die bereits wissen, was sie nicht mehr sagen dürfen, gibt es jetzt eine neue Disziplin: Rechnen ohne unkorrekte Zahlen.

Der Bitte einzelner Leser, über den Eurovision Song Contest zu schreiben, mag ich nicht nachkommen, biete aber an, mich einer anderen Belanglosigkeit zu widmen: der Zahl 88. Die ist nämlich ins Gerede gekommen, denn der achte Buchstabe im Alphabet ist das "H". Verstehen Sie? "H"! Verstehen Sie nicht? Nun, mit einem "H" beginnen nicht nur schöne Wörter wie Haus, Hof und Holunderbeere, sondern auch böse Wörter wie "Heil" und "Hitler". Und weil dieser Gruß in Deutschland aus gutem Grund verboten ist, haben die verbliebenen Nazi-Deppen im Land die "88" zum augenzwinkernden Gruß erhoben.

Wenn Sie sich nun grämen, das nicht gewusst zu haben, machen Sie sich nichts daraus. Der Weltkonzern Procter & Gamble wusste es auch nicht und startete jüngst eine Waschmittelwerbung, bei der auf einem deutschen Nationaltrikot der Schriftzug "Ariel" in Kombination mit der Spielernummer "88" gezeigt wurde. Da war aber was los. "Shit-storm" in den Netzwerken, Protestbriefe an den Konzern, der direkt die Auslieferung des Produkts stoppte. Deutschland im antifaschistischen Widerstand. Gegen eine Zahl. Gemeint war die als Hinweis, dass statt üblicher 83 Waschladungen fünf zusätzliche, ergo 88, mit einer Packung möglich seien. Aber die Waschprofis hatten nur auf ihr Pulver und nicht auf politische Korrektheit geachtet. Hinzu kam noch das Wort "Ariel", klingt etwas wie "Arier", und der Hinweis auf "neue Konzentration" beim Waschen. Alles unglücklich.

Aber ich frage mich, ob sich die Leute im braunen Sumpf nicht köstlich amüsieren, wenn sie dieses Theater verfolgen. Dank zahlreicher Medienberichte - jetzt auch von mir - weiß nun jeder, dass "88" nicht einfach eine Zahl ist. Und jeder merkt, wie grotesk es ist, dass wir nach "Mohrenkopf" und "Zigeunerschnitzel" nun beginnen, die Grundrechenarten politisch zu bereinigen. Ich meine, warum nur "88" und nicht auch "18"? Denn "A" ist ja der erste Buchstabe des Vornamens vom Massenmörder Hitler. Und was ist mit den anderen Killertypen? Eichmann? Mengele? Sind "15" und "1013" bald nicht mehr erlaubt? Verzeihen Sie mir den Sarkasmus, aber wäre es nicht sinnvoller, unseren Kindern und Mitmenschen einfach zu sagen, dass Rassenhass widerwärtig ist, statt uns an Zahlen abzuarbeiten?

Immerhin, bereits im September 2005 hat das OLG Brandenburg festgestellt, dass die Verwendung der Zahl 88 "nicht unbedingt strafbar" sei. Gut zu wissen. Nicht, dass unsere Kinder im Unterricht Probleme bekommen, wenn sie 2 x 44 ausrechnen und das Ergebnis einfach sagen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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