Kolumne: Total Digital Die bayerische Gedankenpolizei

Düsseldorf · Hasskommentare im Netz verbieten, bevor sie erschienen sind – klingt wie ein Aprilscherz, ist aber der Ernst der CSU. Wo bleibt die Obergrenze für Populismus?

Hasskommentare im Netz verbieten, bevor sie erschienen sind — klingt wie ein Aprilscherz, ist aber der Ernst der CSU. Wo bleibt die Obergrenze für Populismus?

Von den Machern der Herdprämie (vom Bundesverfassungsgericht kassiert) und der Pkw-Maut (von der EU-Kommission gestoppt) jetzt also die nächste CSU-Blendgranate: das Verbot von Hasskommentaren im Internet, und zwar noch bevor diese veröffentlicht worden sind.

Was klingt wie ein Aprilscherz, ist tatsächlich ernst gemeint und soll nach Medienberichten diese Woche auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth verabschiedet werden: "Volksverhetzende und beleidigende Begriffe müssen bereits zuvor herausgefiltert werden", heißt es in der Beschlussvorlage. "Automatisch generierte Propaganda-Inhalte sind durch wirksame Plausibilitätsprüfungen auszuschließen."

Die Partei, deren christliche Nächstenliebe bekanntlich Obergrenzen hat ("Wer betrügt, der fliegt"), stößt damit in neue Bereiche der konservativen Gesellschaftshygiene vor: zur Gedankenpolizei. Laut einem Geheimpapier, das wir uns soeben ausgedacht haben, wollen die Christsozialen demnächst Gesetzesverstöße schon bestrafen, bevor sie überhaupt verübt wurden. Und das funktioniert so: Internet-Riesen wie Facebook oder Google werden dazu verdonnert, aus den Suchanfragen, Seitenbesuchen sowie Freundeskreisen eines Nutzers Gesetzesverstöße vorherzusagen.

Sollten Sie beispielsweise dazu neigen, falsch zu parken, falsch zu wählen oder auch nur falsch zu denken, schlägt der Pre-Crime-Algorithmus Alarm.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie aus heiterem Himmel noch am Frühstückstisch verhaftet werden, weil Sie im Jahr 2020 möglicherweise Steuern hinterzogen haben werden. Doch keine Sorge: Solange Sie kooperieren und vorzeitig ein Geständnis ablegen, wird das strafmildernd ausgelegt, und Sie kommen mit einer Geldstrafe davon.

Obergrenzen? Leider gilt das nicht für populistische Symbolpolitik und digitale Inkompetenz.

Richard Gutjahr ist Moderator für das Bayerische Fernsehen und Blogger. Er beschäftigt sich in seinem Blog "gutjahr.biz" mit Digitalisierung und Medienwandel. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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