Innere Sicherheit Fußfessel bietet trügerische Sicherheit

Meinung | Berlin · Die elektronische Fußfessel für Gefährder wird Gesetz. Ein Durchbruch im Kampf gegen den Terror ist das noch nicht. Zudem einer, der erst noch nachweisen muss, auch verfassungsfest zu sein. In erster Linie aber wohl eine Beruhigungspille für die Bürger.

Fragen und Antworten zur Fußfessel
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Foto: dpa, Fredrik von Erichsen

180 Gramm schwer, 170 Euro teuer, so groß wie ein Smartphone und einzig gebaut für den Zweck, vom Bein eines Menschen alle 15 Minuten ein GPS-Signal an einen Satelliten zu senden — auf dass die Rechner in der "Gül", der Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder in Hessen, keinen Alarm aussenden. Den gibt es, wenn der Träger der elektronischen Fußfessel für ihn verbotenes Terrain betritt oder das Ding entfernt hat. Dann wird die zuständige Polizei informiert, die einen Streifenwagen schickt, um die Suche nach dem Delinquenten zu starten.

Schon diese Kurzbeschreibung legt den begrenzten Nutzen nahe. Wer Böses im Schilde führt, kann dies sogar mit Fußfessel tun — es wird nur dann auffallen, wenn ihm ein bestimmter Aktionsradius vorgegeben ist. Aber auch innerhalb dessen kann er jedes Verbrechen verüben. Die GPS-Ortung wird ihn lediglich anschließend eher überführen können. Auf potenzielle Selbstmordattentäter dürfte das kaum Eindruck machen. Und wer mindestens 15 Minuten Zeit hat, um ohne die abgeschnittene Fußfessel unterzutauchen, wird auch nicht übermäßig viel Respekt aufbringen.

Ein Beruhigungsmittel für die Bevölkerung

Nach dem Weihnachtsmarktanschlag war schnell klar, dass die Fußfessel als zusätzliches polizeiliches Hilfsmittel kommen würde. Denn es dient in erster Linie der Beruhigung der Bevölkerung. Bei rund 550 identifizierten Gefährdern allein aus dem islamistischen Spektrum ist jedem Bürger klar, dass die Behörden nicht jeden einzelnen ständig im Blick haben können. Dazu wären jeweils zwischen 24 und 36 Beamte nötig. Mitunter sogar mehr, weil Islamisten aus autoritären Staaten von Kindesbeinen an gelernt haben, wie sie Beschattungen abhängen. Dem steht die Fußfessel gegenüber, für die das BKA monatliche Überwachungskosten von 500 Euro veranschlagt. Ein gutes Gefühl also. Aber ein oberflächliches.

Es bleibt zudem fraglich, ob das neue Mittel auch mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Schließlich handelt es sich um ein massives Eindringen des Staates in die Privatsphäre und die Bewegungsfreiheit. Bei schon verurteilten Straftätern mit einschlägiger Gewaltprognose ist ein solcher Eingriff naheliegenderweise verhältnismäßig. Aber ist er es auch, wenn der Polizei bislang die Nachweise fehlen, dass eine Person tatsächlich im Begriff ist, ein Verbrechen zu begehen oder schon begangen hat? Die gesetzlichen Formulierungen, wonach "bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen" oder ein "individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet" sind typische Beschreibungen polizeilicher Observierung, nicht justiziabler Konsequenzen. Mit Spannung dürfte letztlich die Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht ausfallen, wenn es die individuellen Freiheitsrechte in Zeiten massiver terroristischer Bedrohung erneut auszutarieren hat.

Die Fußfessel kann in vielen Fällen nicht erste Wahl sein

Ohnehin hat der Fall Amri gezeigt, dass Behörden mitunter bewusst die lange Leine wählen, den Beobachteten am liebsten nicht auf die Überwachung stoßen, damit sie besser aufklären können, mit wem er sich trifft. Für besonders verdächtige Gefährder wird die Fußfessel also eher nicht das erste Mittel der Wahl sein. Und wenn es darum geht, einen wirklichen Durchbruch im Kampf gegen den Terror zu schaffen, dann müssen die überall in Europa gewonnenen Daten und Erkenntnisse über potenzielle Terroristen so schnell wie möglich in eine gemeinsame europäische Datei fließen, in die alle bedrohten Länder einpflegen und aus der alle ihre Warnungen beziehen können. Dieser eine Schritt brächte mehr als tausend Fußfesseln. Wenn jedoch — verfassungsfest - Fußfesseln nur einen Anschlag verhindern helfen, hätten sie sich ebenfalls gelohnt.

(may-)
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