Vorstoß für Sozialpaket Gabriels verzweifelter Kampf

Meinung | Berlin · Sigmar Gabriel ist von allen Seiten unter Druck: Als Wirtschaftsminister und Vizekanzler, vor allem aber als SPD-Chef. Seit dem Parteitag kämpft er mit so wenig Rückhalt seiner Genossen wie noch nie einen noch nicht dagewesenen Kampf.

Das ist Sigmar Gabriel
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Gabriel rackert gleichzeitig gegen stagnierende SPD-Umfragewerte, drohende Wahlschlappen in den Ländern, gegen die gesellschaftliche Spaltung in der Flüchtlingsfrage und einen diffusen Vertrauensverlust in die Politik. Und dann sind da noch die Dekadenaufgabe der Flüchtlingsintegration und Gabriels Anstrengungen für mehr Investitionen des Staates und der Unternehmen. Wer den SPD-Parteivorsitzenden in diesen Tagen erlebt, nimmt ihm ab, dass ihn diese Mammutaufgaben antreiben, ihm mitunter aber auch den Schlaf rauben.

Dabei bleibt er sich treu. Gabriel hatte schon immer ein feines Gespür für die Bedürfnisse der Menschen an der Basis. Es muss Abscheu in ihm hervorrufen, wenn Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) seinen Vorstoß für mehr Unterstützung der Bedürftigen "erbarmungswürdig" nennt. Treue Genossen warfen Schäuble denn auch ganz im Sinne Gabriels vor, weit entfernt zu sein von der Bevölkerung.

Allerdings wirkt Gabriel in seinem derzeitigen Kampf zunehmend verzweifelt. Gabriel erliegt alten sozialdemokratischen Reflexen, indem er jetzt mit mehr Umverteilung zugunsten der Benachteiligten versucht, ihren vermeintlichen Widerstand gegen die Asylpolitik und das politische Establishment einzudämmen. So richtig eine Solidarrente für Geringverdiener oder bessere Kita-Angebote für alleinerziehende Mütter sind: Sie werden wohl kaum Menschen davon abhalten, sich Pegida oder der AfD anzuschließen.

Stattdessen muss sich Gabriel jetzt zu recht den Vorwurf gefallen lassen, eine Neiddebatte, die er immer verhindern wollte, erst zu beginnen und zu befeuern. Bisher lautete die Devise "Wenn wir Flüchtlingen helfen, dann gleichzeitig auch dem Rest der Bevölkerung". Bei keinem anderen Vorhaben wurde das so gebetsmühlenartig wiederholt wie bei der Aufstockung der Mittel für den Wohnungsbau. Erschwinglicher Wohnraum müsse für alle entstehen, nicht nur für Flüchtlinge, hieß es immer.

Dass Gabriel nun eine klare Abgrenzung zieht zwischen Bedürftigen in der deutschen Bevölkerung und den finanziellen Hilfen für Flüchtlinge stößt längst auch bei Genossen auf Missfallen. Gabriels Vorschläge werden hinter vorgehaltener Hand als Schnellschuss und Wahlkampfhilfe für die strauchelnde Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz verbucht.

Seinen Vorstoß für ein "Solidarprojekt" wagte Gabriel aber auch in dem Wissen, dass nichts mehr aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werde, was nicht in die aktuellen Haushaltsberatungen aufgenommen wird. Macht er sich jetzt also nicht stark für Solidarrente, mehr Rechte für Behinderte und eine bessere Kita-Versorgung, sind solche Vorhaben in dieser Legislaturperiode zum Scheitern verurteilt.

Und so muss Gabriels verzweifelter Kampf mit der Union auch als ein Versuch wahrgenommen werden, die Bilanz der SPD kurz vor den Wahlen noch einmal mit Bonbons für wichtige sozialdemokratische Wählerschichten aufzubessern. Den Mindestlohn und die Rente mit 63 könnten die Leute schließlich im Wahljahr 2017 schon wieder vergessen haben. So wie Schäuble den ausgeglichenen Bundeshaushalt bisher wie eine Trophäe vor sich herträgt, sucht Gabriel nach weiteren Errungenschaften, die sich für Wahlwerbung eignen. Und die Union hält munter dagegen.

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