Debatte um doppelte Staatsbürgerschaft Die konservativen Rebellen

Berlin · Die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft wird die CDU noch länger beschäftigen. Sie ist ein Keil zwischen Merkel und der Basis.

 Angeführt wird die Revolution von Präsidiumsmitglied Jens Spahn (2. v.r.) und seinen Verbündeten Julia Klöckner, Thomas Strobl (links) und Wolfgang Schäuble.

Angeführt wird die Revolution von Präsidiumsmitglied Jens Spahn (2. v.r.) und seinen Verbündeten Julia Klöckner, Thomas Strobl (links) und Wolfgang Schäuble.

Foto: ferl

Das überraschende Ende des CDU-Parteitags von Essen, bei dem Angela Merkel und eine Mehrheit der Delegierten im Streit auseinandergingen, hat gestern Nachbeben ausgelöst. In der CDU hat sich eine Revolution hin zu mehr CDU pur in Gang gesetzt. Es ist eine Gegenbewegung zur CDU der vergangenen Jahre. Und es ist eine Bewegung, die der Kanzlerin und Parteichefin gefährlich werden kann.

Angeführt wird diese Revolution von Präsidiumsmitglied Jens Spahn und seinen Verbündeten bei der Jungen Union. Spahn gehört zur Parteiführung — beim Parteitag saß er in der Antragskommission —, und Teil der Regierung ist er als Finanzstaatssekretär obendrein. In Merkels Umfeld nimmt man es ihm äußerst übel, dass er als einflussreicher Funktionsträger den Beschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wortreich unterstützt und die knappe Entscheidung damit wahrscheinlich auch herbeigeführt hat.

Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein Spahn noch keine CDU-Revolution. Vielmehr hat er eine Stimmung aufgegriffen, die in der Partei schon länger und seit der Flüchtlingskrise besonders verbreitet ist.

Auch die stellvertretenden Vorsitzenden Julia Klöckner und Thomas Strobl setzen sich immer wieder inhaltlich von der Kanzlerin ab, allerdings ohne dabei offen illoyal zu sein. So jubilierte Klöckner beim Parteitag, alle ihre "A 2"-Vorschläge zur Flüchtlingspolitik stünden im Leitantrag. Als sie zu Beginn des Jahres in Rheinland-Pfalz ihren Wahlkampf führte, war das die Zeit, in der Merkel immer nach einem Plan B in der Flüchtlingskrise gefragt wurde. Die Wahlkämpferin Klöckner, die so gerne einen Plan B gehabt hätte, legte jenen "Plan A 2" vor, der vielfach als Alternative zu Merkels Politik gedeutet wurde.

Parteivize Strobl profilierte sich kurz vor dem Parteitag mit neuen Vorstößen zur Abschiebung, als der Leitantrag längst geschrieben war. Seine Forderungen wurden noch hektisch eingearbeitet. Strobl konnte sich durchsetzen, weil auch dem Rest der Parteiführung klar war, dass die Delegierten nach einer schärferen Innenpolitik lechzen.

Strobl ist der Schwiegersohn von Finanzminister Wolfgang Schäuble, der in der CDU-Revolution eine weniger durchschaubare Rolle spielt. Nun ist Schäuble viel zu schlau und viel zu erfahren, sich bei Illoyalitäten gegen die Kanzlerin erwischen zu lassen. Er kommt aber auch nicht auf die Idee, seinen Staatssekretär Spahn zur Mäßigung zu mahnen. Nach den Nachwuchstalenten in der CDU gefragt, nennt er diesen vielmehr an erster Stelle. Mit einem Glas Rotwein auf dem Tisch spricht Schäuble gelegentlich auch über Merkels Schwächen und kritisiert ihren Stil, wie sie die Partei führt.

Offene Kritik an Merkel war bislang eine Randsportart in der CDU. Trotz des beginnenden Wahlkampfs bekommt sie nun Zulauf. Viele Parteitagsdelegierte nahmen der Chefin übel, dass sie den Beschluss zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft vor laufenden Kameras quasi wieder kassierte. "Ich kenne keinen Kreisvorsitzenden, der den Beschluss des eigenen Kreisparteitags anschließend als falsch bezeichnet", giftete der Bundestagsabgeordnete und Innen-Experte Armin Schuster gestern.

Die Frontstellung zwischen Partei und Parteichefin ist seit 2007 locker institutionalisiert im "Berliner Kreis", der sich rund um den damaligen hessischen Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner bildete. Die Mitgliedschaft ist nicht formalisiert und unterliegt dem Wechsel. Zwischenzeitliche Akteure wie der thüringische Fraktionschef Mike Mohring oder der inzwischen verstorbene Außenexperte Philipp Mißfelder sagten sich wieder los. Die Führung der Unionsfraktion hatte Druck ausgeübt. Sie wünschte keine eigenen weltanschaulichen Zirkel als Fremdkörper in der Partei. Zu Gesprächsrunden fanden sich die Rebellen, die sich im Gegensatz zum Mainstream der Partei wahrnehmen, dennoch weiter zusammen.

Von Zeit zu Zeit meldet sich der Kreis mit Stellungnahmen weiterhin zu Wort. Meist mahnt er ein deutlich konservativeres Profil der CDU an. Die Schlagzahl erhöhte er mit der Flüchtlingsdynamik. Zu den herausragenden Aktivposten des "Berliner Kreises" zählt Wolfgang Bosbach. Er kann aber auch als Einzelner und unabhängig von seinen Verbündeten mit seiner Kritik am Kurs der Kanzlerin in Talkshows und Interviews auf seine Position aufmerksam machen.

Der Streit um den Doppelpass wird die CDU noch länger beschäftigen. Dass Merkel die Entscheidung ihres Parteitags nicht in Regierungshandeln umsetzen kann, überrascht nicht. Sie muss sich an den Koalitionsvertrag halten. Doch der CDU steht die Debatte ins Haus, ob die Forderung nach der Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft im Wahlprogramm verankert und Teil des Wahlkampfs werden soll. Merkel hat das bereits abgelehnt. Noch bevor sie ihre entsprechenden Fernsehinterviews am Rande des Parteitags gab, hatte sich Unionsfraktionschef Volker Kauder dafür durchaus offen gezeigt.

(may- / qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort