Thomas de Maizière im Interview "Kraft kann nur Wohlfühlpolitik"

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) über das Duell in Nordrhein-Westfalen, warum die Politik künftig keine Wahlkämpfe mit finanziellen Versprechungen mehr machen kann und wer sich freiwillig zum Dienst an der Waffe meldet

Thomas de Maizière – Kanzleramtschef, Verteidigungsminister, Innenminister
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Das ist Thomas de Maizière

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Foto: dpa, nie pil his

Die Umfragen sehen die NRW-CDU bei 30 Prozent. Das reicht nicht für die Regierung. Woran liegt's?

De Maizière Mal abwarten. Ergebnisse gibt es erst am Wahlabend. Die Umfragen sollten Ansporn sein, in den letzten Tagen die Alternative deutlich zu machen, vor der die Wähler in Nordrhein-Westfalen stehen.

Und die wäre?

De Maizière Einerseits eine Wohlfühl-Politik, die die harten Probleme verdrängt. Dafür steht Frau Kraft. Auf der anderen Seite eine verantwortungsvolle Politik für die Zukunft, selbst wenn schwierige Entscheidungen anstehen. Dafür steht Norbert Röttgen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung ist die einzige Landesregierung, die die Konsequenzen der Schuldenbremse noch nicht begriffen hat. Das Aufwachen wird dann umso schmerzhafter.

Eine Wechselstimmung fehlt.

De Maizière Das kann ich nicht abschließend beurteilen. Die Ministerpräsidentin nutzt jedenfalls geschickt, dass sie zwei Jahre eine Minderheitsregierung geführt hat — nach dem Motto "Ich konnte ja keine gute Politik machen, weil mir die Mehrheiten fehlten". Ob eine solche Strategie reicht, bezweifle ich. Es lohnt sich für die CDU, bis zuletzt zu kämpfen.

Frau Kraft setzt voll auf ihre Person. Das hat Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2009 auch gemacht. Ist Kraft eine gute Schülerin?

De Maizière Man kann die beiden nur bedingt vergleichen. Es gibt Parallelen. Beide sind zu Beginn ihrer Karriere unterschätzt worden. Das sollte man nie tun. Beide sind in ihrem Auftreten nicht aufdringlich. Das passt in die Zeit. Allerdings geht die Bundeskanzlerin die Probleme über Sachverhalte an. Sie will ernsthaft Probleme lösen. Frau Kraft setzt auf propagandistische Elemente und betont lieber das Emotionale. Emotionen sind gut, auch in der Politik. Aber nur damit lässt sich ein Land nicht führen.

Ist Norbert Röttgen zu intellektuell für den Wahlkampf?

De Maizière Nein, das finde ich gar nicht. Er ist ein kluger Kopf. Und die Politik braucht kluge Köpfe. Eher mehr als weniger.

Wünschen Sie sich die FDP in den Landtag?

De Maizière Ja, klar. 14 Prozent wie bei der Bundestagswahl sind vielleicht etwas viel, aber die FDP sollte in allen Parlamenten in Bund und Land vertreten sein.

Die FDP liebäugelt mit einer Ampel.

De Maizière Das sind taktische Spielchen, die meistens nichts bringen. Ich freue mich darüber, wenn die FDP Teil des politischen Spektrums bleibt.

Mit dem Sieg des Sozialisten Hollande in Frankreich spüren diejenigen Aufwind, die gegen Sparen und für Konjunkturpakete sind.

De Maizière Ein Teil der Sozialdemokratie wird versuchen, den Sieg Hollandes zu einer Abstimmung gegen den Sparkurs der Kanzlerin und der Union umzudeuten. Diese Debatte können wir gerne führen. Die Wahlkämpfe, die wir dieses und nächstes Jahr führen, sind wohl die letzten, die mit finanziellen Versprechungen geführt werden können. Die Schuldenbremse wird das zentrale Thema der künftigen Politik sein. Und wir müssen dann als Politiker sagen, wie wir die Vorgaben des Grundgesetzes erfüllen wollen. Mit neuen Ausgaben sicher nicht.

Die SPD verlangt ein Wachstumspaket für die Krisenländer.

De Maizière Das ist nicht neu. Wachstumsstrategien waren bereits der Gegenstand der Verhandlungen des letzten Gipfeltreffens der EU-Staatschefs. Aber Wachstum erreicht man nicht durch neue Schulden. Wachstum und ein Konsolidierungskurs schließen sich aber nicht aus. Denn eine kluge Wachstumspolitik verändert die Strukturen der Wirtschaft, etwa durch den Aufbau eines beruflichen Bildungsmarktes, eines flexiblen Arbeitsmarktes und durch Investitionen in Bildung. Ein Beispiel: Wachstum wird nicht geschaffen, indem man Menschen unter 60 Jahren in Rente schickt. Die steigende Beitragslast dämpft das wirtschaftliche Wachstum. Und einfach nur neue Straßen zu bauen, hilft den Ländern auch strukturell nicht weiter.

Kommen wir zu ihrem Amt als Verteidigungsminister. Findet die Bundeswehr genug junge Rekruten?

De Maizière Ja, aber Sie müssen unterscheiden zwischen den Berufs- und Zeitsoldaten und den freiwilligen Wehrdienstleistenden. Wir benötigen pro Jahr etwa 15 000 Berufs- und Zeitsoldaten; die Bewerberzahlen liegen deutlich darüber, für alle Bereiche und Laufbahnen. Das freut mich, denn das ist für die Professionalisierung der Armee entscheidend.

Und wie sieht es bei den freiwilligen Wehrdienstleistenden aus?

De Maizière Ich habe mit einem Korridor von 5000 bis 15 000 pro Jahrgang geplant. Wir haben im ersten Jahr nach der Aussetzung der Wehrpflicht über 8500 freiwillig Wehrdienstleistende eingestellt. Das ist zufriedenstellend. Ein Problem ist, dass etwa 20 Prozent den Wehrdienst vorzeitig abbrechen. Die Vorstellungen mancher junger Leute sind da vielleicht etwas naiv. Einige Rekruten überrascht es offenbar, dass sie morgens mit geputzten Stiefeln zum Dienst erscheinen sollen, in einer Stube mit mehreren Soldaten schlafen oder dass sie nur in der Raucherpause rauchen dürfen.

Koppelt sich die Freiwilligenarmee von der Gesellschaft ab?

De Maizière Ich will dazu beitragen, dass das nicht passiert. Wir strecken als Bundeswehr die Hand in die Gesellschaft aus. Aber sie muss auch ergriffen werden. Das Interesse an dem Leben und der Arbeit der Bundeswehr muss aus der übrigen Bevölkerung, den Medien, der Politik heraus kommen. Dann wird die Bundeswehr in der Gesellschaft auch fest integriert und anerkannt bleiben.

Melden sich Freiwillige, weil sie in Auslandseinsätze gehen wollen?

De Maizière Durchaus. Es ist nicht abschreckend, dass die Bundeswehr zusehends eine Einsatzarmee wird. Viele junge, seriöse und gewissenhafte Zeit- und Berufssoldaten wollen internationale Erfahrungen sammeln, dorthin gehen, wo die Bundeswehr ihren Dienst leistet. Im Übrigen sind wir in der gesamten Bandbreite von unbewaffneten Beobachtermissionen bis zum Kampfeinsatz im Ausland tätig. Die neue Internationalität des Soldatenberufs ist eher ein gutes Argument.

Wann wird der letzte deutsche Soldat aus Afghanistan abziehen?

De Maizière Der Einsatz in seiner bisherigen Form endet Ende 2014. Dabei bleibt es. Wir werden bis dahin die Sicherheitsverantwortung vollständig in afghanische Hände übergeben haben. Wir werden aber nicht den Fehler der Sowjetunion wiederholen und das Land danach alleine lassen. Wir bleiben Partner des Landes und unterstützen den Aufbau der Sicherheitsstrukturen durch Ausbildung, Beratung und sicher auch mit Soldaten.

Michael Bröcker fasste das Gespräch zusammen.

(RP/pst/rm)
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