Grüne sind Sieger der Wahl in Baden-Württemberg Kretschmann: "Selbstverständlich können wir regieren"

Düsseldorf (RPO). Als der grüne Spitzenkandidat Winfried Kretschmann bei der Wahlparty in Stuttgart auf die Bühne tritt, schlägt ihm minutenlang grenzenloser Jubel entgegen. Die Grünen, sie feiern nach dem erdrutschartigen Sieg in Baden-Württemberg wie im Rausch. "Mappus weg", skandieren sie immer wieder. Ihr Spitzenkandidat wird allem Anschein nach der neue Ministerpräsident. Der einzige, der sich mit dem Lachen schwer tut, ist Kretschmann selbst.

Vom Bürgerschreck zum Bürgerlichen: Winfried Kretschmann
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Vom Bürgerschreck zum Bürgerlichen: Winfried Kretschmann

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Foto: ddp

Ja, im Wahlkampf hätten sie es bereits gespürt, dass die Zeit für den Wandel gekommen war, sagt Kretschmann später in einem Fernseh-Interview. Er freue sich über diesen grandiosen Sieg. Ruhig bleibt er dabei und scheinbar gelassen.

Fragen nach dem Ministerpräsidentenamt oder möglichen Absprachen mit dem designierten Koalitionspartner weist er freundlich zurück. Er will erst abwarten und Gewissheiten haben. Vielleicht ahnt er zu diesem Zeitpunkt, dass es noch knapp werden würde an diesem Abend. Erst spät wird das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt: Zusammen mit der SPD reicht es für Grün-Rot. Im Landtag hat die neue Koalition mit vier Stimmen Vorsprung eine Mehrheit mit 71 Sitzen.

Erst als der Sieg feststeht, wird er konkreter. Ja, er rechne schon damit Ministerpräsident zu werden, sagt er am Abend in den Tagesthemen. Fachliche Fragen beantwortet er präziser: Bei Stuttgart 21 könnte es zum Volksentscheid kommen. Der Atomausstieg müsse beschleunigt werden, aber Deutschland dürfe nicht in die situation kommen, dass man fremden Atomstrom importieren müsse.

Nach den ersten Prognosen enthielt sich Kretschmann des vorschnellen Jubels und blieb lieber sauber und nüchtern. Wieder einmal wurde deutlich, was für ein Typ er ist: Medien sind seine Sache nicht. Kretschmann ist das Gegenteil eines Selbstdarstellers und wird gerne als sperrig beschrieben. Seine Reden können auch mal langatmig werden.

Fragen nach dem Amt des Ministerpräsidenten blockt er an diesem Abend zunächst beharrlich ab. Als die Grüne Basis den Erfolg bejubelt, winkt der frenetisch gefeierte Spitzenkandidat fast pflichtschuldig in die Menge. Wo andere sich mit Siegesgesten feiern lassen, belässt es Kretschmann mit einem Lächeln. Offenkundig ist es wieder eine dieser Situationen die er nicht mag. Kretschmann steht nicht gerne im Mittelpunkt.

Kein Mann für den Mittelpunkt

Daran wird er sich wohl gewöhnen müssen. Er selbst weiß das natürlich auch. "Wir haben so etwas wie einen historischen Wahlsieg errungen", leitet er seine Dankesrede mit zurückhaltenden Worten im unüberhörbaren Dialekt ein. Seinen Parteifreunden dankt er für ihren "grandiosen Einsatz". "Wir haben herausgefordert, wir wurden herausgefordert, jetzt haben wir die historische Wende erreicht", ruft er den Grünen zu.

Kretschmann mobilisierte neue Wähler

Auch ohne das wird sich so mancher außerhalb von Baden-Württemberg gefragt haben: Ein Grüner als Ministerpräsident, ein ehemaliger linksradikaler 68er als Regierungschef - geht das überhaupt? Die Antwort liegt in der Persönlichkeit des grünen Spitzenkandidaten. Für viele wurden die Grünen durch ihn erst wählbar.

Kretschmann ist ein Bürgerlicher. Er ist Gymnasial-Lehrer, Mitglied im Schützenverein und sitzt als bekennender Christ im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. In ersten Wahlanalysen wurde deutlich, dass die Grünen vor allem vorherige Nichtwähler mobilisieren konnten. Auch das belegt, dass Kretschmann im Land offenbar ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit besitzt.

Immer wieder betont er das Miteinander

Schon in seinen ersten öffentlichen Sätzen nach der ersten Prognose wird erkennbar, dass Kretschmann durchaus landesväterliche Eigenschaften mitbringt. Er ist einer der zusammenführen, der integrieren will. In ruhigen und klaren Sätzen skizziert er seine Vorstellungen des Regierens: "Wir werden versuchen,, die Menschen zusammenzuführen und hinter unsere klaren Ziele zu bringen, damit wir dieses Land zusammenbringen können in eine grüne Richtung."

Das Miteinander spielt dabei eine zentrale Rolle. Den Politikwechsel in Baden-Württemberg will er "zusammen mit der Bevölkerung" einleiten, sagt er. Mit ihnen will er den Weg in die Bürgergesellschaft gehen. Das Stichwort verweist auf einen der wichtigsten Gründe, der den Grünen einen so großen Erfolg bescherte: Stuttgart 21. Die Menschen gingen im Herbst auch auf die Straße, weil sie sich von der Politik übergangen fühlten. Das, so will es Kretschmann, soll sich verändern.

"Das regt das Denken an"

In den ersten Interviews versucht er sich im Spagat zwischen Selbstbewusstsein und Bescheidenheit. Der Erfolg habe immer mehrere Mütter und Väter", beantwortet er die Frage nach seinem Anteil am Wahlsieg. Er selber habe seinen bescheidenen Beitrag geleistet. An dem Willen und der Eignung lässt er jedoch keinerlei Zweifel aufkommen und lässt dabei sogar seinen manchmal eigenwilligen Humor aufblitzen. "Oppositionsbänke sind hart, das regt das Denken an", antwortet er einer Reporterin auf die Frage, ob denn Grün-Rot das Land führen könne. Die Konzepte seien ausgereift. "Selbstverständlich können wir regieren", bilanziert der Politiker.

Das wird er, wenn es denn am Ende für eine Mehrheit reicht - zweifelsfrei mit der SPD. Der Streit über Stuttgart 21 und die Atompolitik zerschnitt endgültig das bisschen Tuch zwischen Grünen und CDU. Mit der SPD ist man sich hingegen weitgehend einig. Im Wahlkampf unterstützte Kretschmann den SPD-Spitzenmann Nils Schmid und umgekehrt. Ärger könnte sich zwischen den beiden Partnern allerdings noch beim Thema Stuttgart 21 auftun. Einig sind sich die Parteien nur darin, eine Volksabstimmung durchzuführen. Die SPD will das Projekt, die Grünen nicht.

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