Ärger über Kampagne gegen islamische Radikalisierung Kritiker: Plakate in die Tonne treten

Berlin · Die Plakate erinnern an Vermisstenanzeigen. "Mein Bruder Hassan wird jeden Tag radikaler. Ich habe Angst ihn ganz zu verlieren – an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen", heißt es darauf. Das Innenministerium will so auf ein neues Beratungsangebot hinweisen. Doch es hagelt Kritik.

 So sollen die Plakate aussehen, die auf der Homepage der Initiative schon zu sehen sind.

So sollen die Plakate aussehen, die auf der Homepage der Initiative schon zu sehen sind.

Foto: Screenshot von initiative-sicherheitspartnerschaft.de

Die Plakate erinnern an Vermisstenanzeigen. "Mein Bruder Hassan wird jeden Tag radikaler. Ich habe Angst ihn ganz zu verlieren — an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen", heißt es darauf. Das Innenministerium will so auf ein neues Beratungsangebot hinweisen. Doch es hagelt Kritik.

Mit einer Werbekampagne möchte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor allem Eltern, Verwandte, Freunde und Lehrer von jungen Leuten, bei denen sich Anzeichen einer Radikalisierung bemerkbar machen, bewegen, sich an eine Beratungsstelle beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu wenden. Die Plakate und Anzeigen sollen ab dem 21. September aufgehangen und geschaltet werden. Die Kampagne kostet rund 300.000 Euro.

"Das ist meine Freundin Fatima. Ich vermisse sie, denn ich erkenne sie nicht mehr. Sie zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Ich habe Angst sie ganz zu verlieren — an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen. Wenn es Dir so geht wie mir, wende Dich an die Beratungsstelle Radikalisierung unter 0911 — 943 43 43 oder per Mail", heißt es in einer der Anzeigen. Auf dem Bild der Anzeige sieht man eine junge Frau mit Kopftuch.

Massive Kritik

Für die Kampagne muss das Ministerium nun scharfe Kritik einstecken. Muslime sind außer sich, die Opposition geht auf die Barrikaden: Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, sagte: "Die Motive wecken den Anschein der Stigmatisierung einer ganzen Gruppe." Die Bilder zeigen Jugendliche mit türkischen Namen.

Am Freitag schoss sich auch Sebastian Edathy, SPD-Innenexperte und Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschuss auf den Innenminister ein. Im "Kölner Stadt-Anzeiger" forderte er Friedrich auf, die Aktion "in die Tonne zu treten". Gerade vor dem Hintergrund der NSU-Mordserie sei sie "völlig verfehlt". Das in ihr zum Ausdruck kommende Maß an Unsensibilität sei "erschütternd".

Kritiker sehen Vorurteile bestätigt

Auch die Türkische Gemeinde forderte Innenminister Friedrich auf, die Aktion zu stoppen. Der Vorsitzende der Gemeinde, Kenan Kolat, warf dem Ministerium vor, die Kampagne nicht mit den muslimischen Verbänden abgestimmt zu haben.

Kritik bekommt Friedrich übrigens auch vom Koalitionspartner FDP: Der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, sagte dem "Hamburger Abendblatt", bei der Kampagne würden Steuermittel vergeudet und Ressentiments geschürt, weil der Islam in die Nähe des Terrorismus gebracht werde. Die geplanten Großflächenplakate schürten Vorurteile in der Gesellschaft gegen den Islam, sagte Tören.

Tören schlug statt dessen eine Aufklärungskampagne in den Moscheen vor. Wenn ein Imam mit jungen Menschen rede, sei es wirkungsvoller, als wenn der Staat ein Plakat aufstelle. "Die 300.000 Euro wären in anderen Extremismusprojekten besser aufgehoben", sagte Tören.

Kritik aus Bonn

Die Aktion des Ministeriums ist Teil der "Initiative Sicherheitspartnerschaft", die von der Bundesregierung gemeinsam mit muslimischen Verbänden ins Leben gerufen wurde. Damit sollen Eltern und Freunde sensibilisiert werden. Denn das soziale Umfeld der Betroffenen bemerkt meistens am schnellsten, wenn ihr Sohn, Schüler oder Freund plötzlich seine religiöse Haltung oder Weltanschauung ändert.

Oft ziehen sich die Betroffenen stark aus ihrem bisherigen Umfeld zurück und lassen keinerlei "Einmischung" mehr zu. Dies führt bei Freunden, besonders aber bei Eltern zu Verunsicherung: Sie befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen einer möglicherweise willkommenen Religiosität des Kindes und der gleichzeitigen Sorge, dass ihr Kind in "falsche Kreise" geraten könnte und sie den Kontakt zu ihm verlieren könnten. Insbesondere nicht-muslimische Eltern, deren Kinder zum Islam konvertiert sind, stellen sich viele Fragen zum Islam als Religion, so das Innenministerium.

Stichtag 21. September

Die Plakate sollen ab dem 21. September als Anzeigen in den Medien geschaltet und in Hamburg, Berlin und Bonn aufgehangen werden. Die Stadt Bonn hat bereits ihre kritische Haltung deutlich gemacht: Als "wenig hilfreich" bezeichnen Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch die geplante Plakatserie. Die Plakate seien missverständlich und für die Sache, um die es gehe, nicht geeignet, hieß es.

Die Kritiker der Kampagne hoffen auf einen Stopp: "Noch hängen die Plakate ja nicht, das soll erst ab dem 21. September geschehen", sagt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Da bleibe genug Zeit, um noch einmal in Ruhe über Motive und Beweggründe der Kampagne nachzudenken.

(das/pst/csr)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort