Enthüllungsportal wikileaks.org Kundus-Bericht im Internet veröffentlicht

Berlin (RPO). Die Kundus-Affäre hält die Politik in Atem. Verteidigungsminister Guttenberg steht unter Druck, die Opposition fordert seinen Rücktritt. Jetzt ist der Untersuchungsbericht zu dem umstrittenen Angriff auf zwei Tanklaster im Internet aufgetaucht. Auf dem Enthüllungsportal wikileaks.org stehen pikante Details zum Download bereit - und werfen Fragen auf.

 Unter Druck: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

Unter Druck: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

Foto: AP, AP

"Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch", steht über dem Bericht, der offenbar nur wenige Tage nach dem verheerenden Bombardement zweier Tanklaster im afghanischen Kundus geschrieben wurde. Trotzdem hat das authentisch wirkende, aber offenbar unvollständige Schriftstück nun seinen Weg in das World Wide Web gefunden, in das Enthüllungs-Internetportal wikileaks.org.

Auf acht Seiten plus Anhängen werden die Verfehlungen im Zuge der Tanklaster-Bombardierung aufgelistet. Wer genau das Bombardement befohlen hat und wer in die Entscheidungsfindung involviert war, war der Bundeswehr demnach wenige Tage nach dem Vorfall offenbar selbst nicht klar. Und wie sollte ausgeschlossen werden, dass keine Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen werden? Der Autor des Berichts konnte dem Bericht zufolge nach Auswertung der Unterlagen in Kundus auch darauf keine Hinweise finden.

Tatsächlich sind bei der Operation bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen. Unklar ist, wie viele von ihnen Zivilisten und wie viele Taliban-Kämpfer waren. In dem Bericht vom 9. September wird jedenfalls erwähnt, dass von 87 Toten "möglicherweise zehn Zivilpersonen" gewesen seien. Auch an anderer Stelle heißt es, dass der Tod von Unbeteiligten "sehr wahrscheinlich" sei. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hörte sich zu diesem Zeitpunkt — mitten im Bundestagswahlkampf — noch anders an.

Zahlreiche Ungereimtheiten

Allerdings zeigt der Bericht noch weitere Ungereimtheiten auf. Der Autor monierte dem Bericht zufolge zudem, dass weder das Hauptquartier der Bundeswehr in Afghanistan noch der Rechtsberater-Stabsoffizier eingebunden wurden. Die Führung in Kundus handelte also auf eigene Faust. Nach dem Bombenabwurf dauerte es zudem mehrere Stunden, bis das deutsche Hauptquartier in Camp Marmal vollständig informiert wurde.


Danach vergingen nochmals Stunden bis zum Mittag, bevor Kräfte zur Sicherung des Bombenkraters ausrückten. Dies nach den dienstlichen Richtlinien offenbar bereits innerhalb von zwei Stunden der Fall hätte sein müssen. "Damit kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, ob und ggf. welche und wie viele Personen sich am Ereignisort aufgehalten haben", heißt es. Eine Untersuchung des Tatortes war somit nicht mehr möglich, die Spuren waren durch die Untätigkeit im deutschen Lager verwischt, was der Autor mit deutlichen Worten kritisiert.

Quelle des Berichts bleibt unklar

Deutliche Worte, die eigentlich nicht an die Öffentlichkeit kommen sollen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte gegenüber unserer Redaktion nicht zu Inhalt oder Authentizität äußern. Auf wikileaks.org ist der Urheber der Datei nicht zurückzuverfolgen. Das Internetportal ist darauf spezialisiert, dass Daten unter Wahrung der Identität des Informanten online gestellt werden können. Die Hintermänner des Portals sind nicht bekannt, eine Verbindung zum bekannten Online-Lexikon wikipedia.org besteht nicht.

Die Chancen, das Leck auszumachen, stehen insofern schlecht. Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg sagte, auch die Opposition habe spätestens seit dem 3. November die Möglichkeit gehabt, den so genannten Com-Isaf-Bericht zu dem Luftschlag einzusehen.
Der Minister fügte hinzu: "Sie hat ihn zur Kenntnis bekommen." Insofern scheint es wahrscheinlich, dass auch der nun veröffentlichte "Untersuchungsbericht zum 'Close Air Support Kunduz' vom 04.09.2009" einer größeren Personengruppe außerhalb des Militärs zugänglich war.

Die Regierungskoalition dürfte zum jetzigen Zeitpunkt allerdings kein Interesse an noch mehr Unruhe haben - zu Guttenberg steht weiterhin in der Kritik. Nach der Lektüre des Berichts stellt sich zudem die Frage, wie er den Angriff ursprünglich als "militärisch angemessen" einschätzen konnte.

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