Neue Details zum Luftschlag am 4. September Kundus: Taliban sollen Großangriff geplant haben

Düsseldorf (RPO). Neue Informationen zum Hergang der Luftschläge von Kundus könnten Oberst Georg Klein entlasten. Demnach wollten die extremistischen Taliban mit Hilfe eines ausgefeilten Drei-Stufen-Plans das Bundeswehrlager von Kundus erstürmen. Der Oberst hat offenbar in höchster Not gehandelt.

Nato-Luftangriff auf Tanklaster
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Die neu aufgetauchten Informationen zu den Hintergründen des 4. September stützen die von der Bundesregierung vorgebrachte offizielle Version, dass die Luftschläge dem Schutz des Bundeswehrlagers dienten. Nach Informationen der Deutschen Presseagentur (dpa) hatten deutsche Geheimdienste Pläne der Taliban zu einem Angriff aufgedeckt.

Vor diesem Hintergrund erscheint der viel kritisierte Entschluss von Oberst Klein, die Tanklaster zu bombardieren, als nahezu zwingend, auch wenn er dabei — wie der geheime Nato-Bericht bemängelt — Befehlsketten missachtete.

In der Wahrnehmung von Oberst Klein muss sich die Situation demnach wie folgt dargestellt haben: Das deutsche Feldlager sah sich einer akuten Bedrohung ausgesetzt. Die deutschen Geheimdienste hatten angeblich schon länger entsprechende Angriffspläne beobachtet. Klein musste davon ausgehen, dass die Taliban ihre Pläne in dieser Nacht in die Tat umsetzen wollten.

Nach den Informationen der Geheimdienste sollten die gekaperten Tanklaster dazu dienen, den äußersten Ring des Feldlagers zu sprengen. Anschließend sollten Selbstmordattentäter zum Einsatz kommen. In kleineren Autos sollten sie den zweiten Ring durchbrechen und den Weg freimachen für Stufe drei: Die Erstürmung des Feldlagers durch eine größere Zahl von bewaffneten Talibankämpfern. Bei dem Bombardement von Kundus sollen den verschiedenen Berichten zufolge zwischen 60 und 100 Talibankämpfer bei den Tankwagen gewesen sein.

Ziel der Angriffs der Taliban soll den Geheimdiensten nach vor allem die Außenwirkung gewesen sein, vergleichbar der bei der Erstürmung eines Gefängnisses im Jahr 2008 in Südafghanistan. Angeblich hatten der Bundesnachrichtendienst das Sonderkommando KSK in den Tagen vor dem Bombardement beobachtet, wie die Taliban auffallend viele Selbstmordattentäter in der Region rekrutiert hätten. Auch Bewegungen größerer Gruppen bewaffneter Taliban wurden angeblich registriert.

Die neu aufgetauchten Berichte werfen ein neues Licht auf die tatsächliche Bedrohungslage am 4. September. Oberst Klein und der geschasste Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan hatten mehrfach darauf hingewiesen. Die Bundeswehr sah sich damals im September einer zunehmend aggressiven Taktik der Taliban ausgesetzt. Bundeswehrtruppen wurden angegriffen, die Sicherheitslage im vormals ruhigen Kundus galt als prekär.

Die Entführung der Tanklastzüge in der Nacht und die Ansammlung von zahlreichen Taliban könnte Oberst Klein vor diesem Hintergrund als ernsthafte und konkrete Bedrohung angesehen haben. Das wäre keine Entschuldigung für die begangenen Verfahrensfehler, wohl aber eine plausible Erklärung für sein Handeln.

Zur Aufklärung des tödlichen Luftangriffs in Afghanistan tritt an diesem Mittwoch erstmals ein Untersuchungsausschuss zusammen. Geplant ist, dass sich der Verteidigungsausschuss des Bundestages als Untersuchungsausschuss konstituiert. Als erster soll Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor dem Gremium aussagen.

Der Ausschuss will die Regierung mindestens ein Jahr lang wegen des Luftangriffs auf zwei Tanklaster nahe Kundus in die Zange nehmen. Die Attacke am 4. September hatte die Bundeswehr befohlen — wie sich später herausstellte auch, um offenbar gezielt mehrere Taliban-Führer zu töten. Bei dem Luftschlag starben auch Zivilisten.

(pst/csi)
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