Rechtsextreme Zwickauer Terrorzelle Kurs auf neues NPD-Verbotsverfahren

Berlin · Rückt ein NPD-Verbot näher? Nach der Verhaftung des Jenaer Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben halten Bund und Länder jedenfalls eine neue Qualität der Bedrohung für möglich. An diesem Donnerstag wollen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt über den aktuellen Stand der Ermittlungen rund um die Zwickauer Terrorzelle informieren.

Festnahme des mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Andre E.
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Mit Hochdruck arbeiten Ermittler in Bund und Länder an der Aufklärung der Mordserie. Derzeit sind bereits 400 Ermittler im Einsatz, weitere 50 sollen hinzukommen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit 11. November gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)". Die Gruppierung soll bundesweit für neun Morde, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn und zwei Bombenanschläge in Köln erantwortlich sein. Derzeit befinden sich vier Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Nach Informationen der Zeitung "taz" will das BKA die Bevölkerung zur Hilfe bei Ermittlungen gegen die NSU bitten. Dazu soll an diesem Donnerstag ein Fahndungsplakat veröffentlicht werden. Die Bevölkerug wird gefragt, ob jemand in den vergangenen Jahren die mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gesehen hat. Dadurch erhofften sich die Ermittler Hinweise auf weitere mögliche Unterstützer oder Kontaktpersonen des Trios.

Steinmeier: NPD "neu in den Blick nehmen"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier macht sich derweil erneut für einen Neuanlauf zu einem NPD-Verbot stark. "Wir müssen die NPD neu in den Blick nehmen und ein Verbot ernsthaft angehen", sagte er der "Passauer Neuen Presse".

Die Biografie der Täter zeige, dass die Trennung zwischen einer parlamentarisch aktiven NPD und einer gewaltbereiten Szene außerhalb von ihr künstlich gewesen sei. "Dort ist ein Netzwerk entstanden, in dem die Beteiligten mit verteilten Rollen spielen. Sie arbeiten aber gemeinschaftlich daran, die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu zerstören," sagte Steinmeier.

Der ehemalige Verfassungsrichter Jentsch sieht Versäumnissen bei Bundestag und Bundesrat im Vorfeld eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. "Man hätte das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändern können, bevor man jetzt möglicherweise wieder in die Schlacht zieht", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung".

Das Gesetz sehe nämlich vor, dass eine Zwei-Drittel-Mehrheit - also sechs von acht Richtern des zuständigen Senats - für das Verbot stimmen müssten. "Eine einfache Mehrheit reicht. Ich würde das Quorum ändern." Wenn man das Gesetz aber jetzt unmittelbar vor Beginn eines womöglich neuen Verbotsverfahrens ändern würde, "dann hätte das ein Geschmäckle". Im Grunde sei es dafür schon zu spät.

Verfassungsrechtler skeptisch

Abgeordnete verschiedenster Fraktionen sagten, man sei bei einem neuen Verbotsanlauf absehbar nicht mehr auf die Informationen der Geheimdienste, sondern die Erkenntnisse der Bundesanwaltschaft angewiesen. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste, der SPD-Politiker Thomas Oppermann, fügte hinzu: "Wir haben heute erfahren, dass NPD-Mitglieder - nicht nur unter den bisher Festgenommenen - auch Teil des braunen Unterstützungsnetzwerkes gewesen sind."

Skeptisch äußerten sich der Karlsruher Verfassungsrechtler Christian Kirchberg und Ex-Generalbundesanwalt Kay Nehm. Kirchberg betonte, bei einem zweiten Verbotsanlauf müsse es mehr Belastendes als 2003 geben. Dieses "Mehr" müsse im aktiven Verhalten der NPD-Anhänger liegen. "Der Fall des verhafteten Ex-Funktionärs allein ist dazu aus meiner Sicht noch nicht geeignet", sagte Kirchberg den "Stuttgarter Nachrichten". Nehm ergänzte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der notwendige Abzug der V-Leute werfe die Frage auf, "aus welcher Quelle die erfolgsversprechende Begründung gespeist werden soll".

Innenausschuss bestreitet neue Enthüllungen

Für Wirbel sorgte ein Medienbericht, wonach Verfassungsschützer möglicherweise den von Neonazis begangenen Mord auch an der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter beobachtet haben sollen.

Das berichtet das Hamburger Magazin "Stern" unter Bezug auf einen geheimen Observationsbericht eines US-Militärgeheimdienstes. Der Innenausschuss hat dafür indes keinen Beleg. SPD-Ausschussmitglied Michael Hartmann sagte zu dem Bericht, er gehe nach allen bisher vorliegenden Erkenntnissen "nicht davon aus, dass diese Informationen hart bestätigt werden können".

Neu belebt wurde indes der Streit über die Vorratsdatenspeicherung. Während die Union angesichts der neuen Erkenntnisse über die Neonazi-Szene ihre Forderung nach umfassender Datenspeicherung bekräftigte, blieb die FDP skeptisch. Auch in der Debatte über eine mögliche Neuordnung der 16 Landesämter für Verfassungsschutz zeichnete sich keine Annäherung ab.

(APD)
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