Der FDP-Politiker verstirbt mit 82 Jahren Lambsdorff - der rheinische Preuße

Düsseldorf (RP). Hinter dem Schreibtisch von Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge Graf Lambsdorff, kurz: Otto Graf Lambsdorff, hing seit Jahr und Tag ein Ölgemälde. Es zeigte Otto von Bismarck, den legendären Reichsgründer von 1871 und "Eisernen Kanzler", der noch länger regiert hat (19 Jahre lang) als seine bundesrepublikanischen Nachfolger, die Kanzler Konrad Adenauer (14 Jahre) und Helmut Kohl (16 Jahre). Das Bild sagte etwas darüber aus, welche Gestalt der Geschichte der nun verstorbene Graf Lambsdorff bewunderte: Bismarck, den Preußen von Geburt.

Otto Graf Lambsdorff gestorben
12 Bilder

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Lambsdorff, der 1926 in Aachen, also tief im Westen zur Welt gekommen war (nach Aachen hatte es auch den jungen Rechtsreferendar Bismarck einst verschlagen), war Preuße aus Gesinnung. Es hatte etwas Pikantes, zu sehen, dass der ehemalige Vorsitzende und zuletzt Ehrenvorsitzende der Liberalen ausgerechnet den ostelbischen Monarchisten, der Parlamente und Demokraten oft und gern verhöhnt hat, aus dem Bilderrahmen über seine Schulter blicken ließ.

Lambsdorff entstammte einem alten baltischen Adelsgeschlecht. Beruflich-politisch bewegte er sich entlang der Rheinschiene. Man wird den Herrn mit dem Charakterschädel so skizzieren müssen: als tapfer, tüchtig, pflichtbewusst, knorrig, humorvoll. Letzteres vorwiegend in der garstigen Drahtbürsten-Variante. Seltsam, dass Lambsdorff in seiner Geburtsstadt nie vom Aachener Karnevals-Verein zum "Ritter wider den tierischen Ernst” geschlagen wurde.

Parteispendenaffäre wirft Schatten

Otto Graf Lambsdorff diente dem Staat, auch noch lange nach dem aktiven politischen Leben. Aber er dachte auch an sich. Urgesunden Erwerbstrieb nennt man so etwas. Seine Aufsichtsratsmandate waren vielfältig. Dennoch gehörte er zu denjenigen Politikern, die nicht zuallererst von der Politik, vielmehr für dieselbe lebten. Denn der promovierter Jurist hatte sich schon einen Namen gemacht in leitenden Positionen des Versicherungs- und Bankgewerbes, bevor er Politiker wurde, genauer: Bundestagsabgeordneter (1972 - ­1998), Bundeswirtschaftsminister (1977­ - 1984), FDP-Chef (1988­ - 1993).

Ein Schatten fiel auf den ansonsten untadeligen Ruf des schwer Kriegsversehrten (Unterschenkel-Amputation), als es der frühere Schatzmeister der FDP NRW im Zuge der Flick-Parteispendenaffäre Mitte der 80er Jahre mit der Bonner Justiz zu tun bekam. Das kostete Lambsdorff, dessen Gehhilfe, ein schlanker Stock mit einer Krücke aus Altsilber, zu seinem Markenzeichen wurde, zuerst den Posten des Bundeswirtschaftsministers ­und nach der Verurteilung 1987 eine hohe Geldstrafe wegen eines Steuerdelikts. Lambsdorff hatte sich nicht selbst bereichert, vielmehr nach Überzeugung des Gerichts zu Gunsten seiner Partei das Steuerrecht missachtet.

Spott über Tschernobyl-Angst

Fallen kann der Mensch, aber aufstehen muss er. Nach der Devise lebte Graf Lambsdorff, für den es selbstverständlich war, nicht zu jammern, stattdessen auf die Zähne zu beißen. Ängstlichen Naturen galt sein Spott. Als nach der Tschernobyl-Reaktor-Katastrophe im April 1986 in Deutschland wochenlang mit hysterischem Ton vor dem Genuss möglicherweise verseuchter Grünzeug-Naturprodukte gewarnt, blaffte Lambsdorff des Mittags, so dass es jeder hören konnte: "Ich gehe jetzt ‘nen Salat essen."

Sein streng marktwirtschaftliches Credo führte im Sommer 1982 zum berühmt-berüchtigten "Lambsdorff-Papier”. Es zielte scharf gegen die SPD-Linke und deren Lust an teuren sozialpolitischen Wohltaten und avancierte binnen Wochen zum politischen Totenschein der sozial-liberalen Koalition von Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Das Bündnis zerbrach am 17. September 1982, und am 1. Oktober begann mit Hilfe der FDP die Ära des Kanzlers Kohl (CDU) mitsamt der 16 Jahre amtierenden CDU/CSU-FDP-Bundesregierung.

Kritik an Westerwelles FDP

Der "Marktgraf", wie der legendäre SPD-Fraktionschef Herbert Wehner einst über den Erzliberalen in einem Mix aus Respekt und Widerwillen lästerte, diente als politischer Ruheständler noch einmal dem Staat, als er vor wenigen Jahren im Auftrag der rot-grünen Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) die kniffligen Verhandlungen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern erfolgreich führte.

Vor wenigen Wochen warnte er seine nach elf Oppositions-Jahren wieder mitregierende FDP davor, fröhlich in Spendierhosen herumzulaufen und Schulden zu machen. Höheres Kindergeld, höhere Kinderfreibeträge, reduzierter Mehrwertsteuersatz für das Beherbungsgewerbe -­ "alles Unsinn", murrte der FDP-Ehrenvorsitzende. "Nichts gegen Steuersenkungen", hatte er hinzugesetzt und unnachahmlich deutlich-ironisch formuliert: Er sei gespannt, ob die Liberalen den Mut aufbrächten, "einige unüberlegt in den Koalitionsvertrag hineingeschriebene Geschenke" wieder einzusammeln.

Lambsdorff war in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei Kindern.

(RP)
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