Stimmungsbild nach Wahlen in Baden-Württemberg "Wir wurden zerquetscht"

Stuttgart · Die Erste Lesung beim Gottesdienst in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard entstammte am Sonntag dem Buch Jesaja: Denkt nicht mehr daran, was früher war. Auf das, was gewesen ist, sollt ihr nicht achten."

 SPD-Spitzenmann Nils Schmid ringt nach den Ergebnissen von Stuttgart um Fassung.

SPD-Spitzenmann Nils Schmid ringt nach den Ergebnissen von Stuttgart um Fassung.

Foto: dpa, kno vfd

Das Paar jenseits der 50 wollte nach dem Schlusssegen wählen gehen. Und? "Darf man fragen, Wolf von der CDU, oder Kretschmann, den Grünen?" Während er schwieg, sagte sie in schwäbischem Tonfall: "Dieschmal de Kretschmann, zum erschte Mal net de CDU."

Man dachte an Jesaja und auch daran, was am Morgen in der Sonntagszeitung FAS zu lesen war: dass 20 Prozent der CDU- Anhänger überlegt hätten, Kretschmann zu wählen, den schwarzen Grünen oder grünen Schwarzen. In den Räumen des Neuen Schlosses mitten in Stuttgart erzählte jemand, dass auch Kretschmanns Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, die CDU-Legende Erwin Teufel, den Nachfolger über den grünen Klee gelobt und dazu noch dies persönlich angemerkt habe: "Und er hat auch noch so a nette Frau, die Gerlinde."

Über allem schwebt der Name Merkel

Mittags im Marktstüble neben der evangelischen Stiftskirche hatten es sich wie üblich viele Stuttgarter und Zugereiste gut gehen lassen: Dinkelacker im Krug und g'schmelzte Maultaschen auf dem Teller. Abends nach Auftakt- Wahlprognose um 18 Uhr und erster Hochrechnung waren vor allem Bier und Trollinger gefragt? In den Räumen der CDU deuteten manche betroffen oder bestürzt wirkend an, sie möchten jetzt erst einmal keine feste Nahrung zu sich nehmen.

Ein CDU-Sympathisant zitierte aus einer demoskopischen Kurve: "Ab September ging"s mit uns steil nach unten." "Und mit denen von der AfD steil nach oben", grollte der Nebenmann. Der Name Angela Merkel fiel in dem Zusammenhang nicht, aber die beiden schwer Verstimmten ließen keinen Zweifel daran erkennen, dass es "ihre" Kanzlerin gewesen sei, die im Spätsommer die "Flüchtlings-Lawine" ( so bildhaft sagte es der Baden- Württemberger Wolfgang Schäuble) losgetreten hatte.

"Um 18 Uhr kommt's knüppelhart"

Eineinhalb Stunden vor Wahlschluss meinte ein Rotwein süffelnder Christdemokrat: "Noch lasse mehr uns de Stimmung net verderbe, um 18 Uhr kommt's knüppelhart." Die SPDler lassen den "Weißen" vom Staatsweingut Freiburg lange im Kühlschrank. Ab 18 Uhr erfolgte dann aber ein grimmiges "Prost Mahlzeit".

Eine Genossin im roten Pullover schüttelte ihren Kopf: "Eigentlich müssten hier Sandwiches aufgetischt werden, denn wir wurden zwischen Grünen und CDU zerquetscht."

Bei Grünen und Liberalen wurden Helden- beziehungsweise Freudengesänge angestimmt. Selbst überzeugte linke Grüne, die mit dem konservativen Parteivater Kretschmann fremdeln, bekannten: "Der Kretsch hat's für uns gerissen, eindeutig." Als sich der Held des Tages seinen "Freundinnen und Freunden" präsentierte, wollte der Applaus nicht enden.

Dann sagte er den für seine Grünen erlösenden Satz: "Die Baden- Württemberger haben heute Geschichte geschrieben und die Grünen zur stärksten Partei gemacht."

Schon früh setzen die Spekulationen ein

Viele hocherfreute Grüne, etwa auch Tübingens OB Boris Palmer, wurmte es jedoch, dass es die Koalition mit der SPD nicht mehr gegen wird. Diese Einsicht trübte sogar das Kretschmann-Fest bei den Siegern des Abends. SPD- Fraktionschef Claus Schmiedel nannte das Abschneiden seiner Partei mit gequälter Miene verheerend.

Sehr früh am Wahlabend setzten die Spekulationen über mögliche künftige Regierungen ein. CDU- Landesparteichef Thomas Strobl ( Schwiegersohn Schäubles) favorisierte eine so genannte schwarz-rot-gelbe Deutschland- Koalition zwischen CDU, SPD und FDP. Der größte Verlierer, SPD- Spitzenkandidat Nils Schmid, machte deutlich, dass er eine "Ampel"-Koalition aus Grünen, SPD und der erstarkten FDP wünscht. Dazu signalisierte wiederum ein hörbar skeptischer FDP- Spitzenkandidat Hans- Ulrich Rülke, es "gäbe ja noch schwarz-rot-Gold"; mit "Gold" meinte er seine liberale Partei. Realistischerweise, so hieß es um so öfter, je länger der Koalitions- Spekulationsabend dauerte, wird es entweder auf eine " Ampel" oder doch auf ein grün- schwarzes Bündnis hinauslaufen. Kretschmann, so war zu hören, wäre das recht.

AfD feiert wie in Trance

Ja und die Alternativen, die AfD? Ihre Anhänger, die sich als die neben Kretschmann weiteren Sieger des Tages fühlten, feierten ihren Einzug ins Landesparlament wie in Trance. Allein AfD- Spitzenmann Jörg Meuthen, ein Wirtschaftsprofessor, sprach fast schon unterkühlt zu den Seinen: Man habe dem enormen Druck gegen die neue Partei Stand gehalten und sei fröhlich, dass Grün- Rot keine Mehrheit mehr habe.

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