Kommentar "Pegida" muss marschieren können

Meinung | Düsseldorf · Hinter der Anti-Islam-Bewegung stehen verachtenswerte Ziele. Trotzdem muss der Staat alles tun, damit ihre Kundgebungen stattfinden können. Und es ist auch nicht Sache der Gegendemonstranten zu entscheiden, wo "Pegida" auflaufen darf — Demonstrationsfreiheit ist keine Frage des guten Geschmacks.

Pegida in Duisburg: Antifa greift Demonstranten an
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Januar 2015: Gewalt bei erster "Pegida"-Demo in Duisburg

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Foto: Christoph Reichwein

40.000 Menschen erwartet die Polizei heute Abend zur Demonstration des Leipziger "Pegida"-Ablegers. Wenn auch nur die Hälfte davon kommt, dann zeigt das: So schnell, wie mancher Politiker und mancher Wissenschaftler es schon beschworen hat, erledigt sich "Pegida" nicht. Es reicht nicht, einfach abzuwarten, bis sich die Sache verlaufen hat. Was also tun? Auch zwei Monate nachdem "Pegida" (zumindest in Ostdeutschland) ein Massenphänomen geworden ist, haben Politik und Zivilgesellschaft darauf keine befriedigende Antwort. Zwei Dinge sollten aber klar sein.

Erstens: Man kann gar nicht oft genug sagen, dass die Pegidisten unrecht haben. Und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt. Ihre "Abendspaziergänge" sind Manifestationen der Engstirnigkeit, der Angst und des Hasses. Sie missbrauchen christliche Symbolik, um gegen Ausländer und Muslime Stimmung zu machen. Je mehr Menschen friedlich gegen "Pegida" auf die Straße gehen, umso besser. Es ist deshalb das falsche Signal, wenn das Düsseldorfer Bürgerbündnis für kommenden Montag keine Gegendemonstration mehr angemeldet hat und den Linken das Feld überlässt. Damit rutscht die Auseinandersetzung aus der Mitte der Gesellschaft an die Ränder.

Zweitens: Auch wenn hinter "Pegida" verurteilens-, ja verachtenswerte Ziele stehen, muss der Staat alles tun, damit die Demonstrationen stattfinden können. Die Debatte, ob die Versammlungsverbote in Dresden angemessen waren, kann eine Sensibilität dafür schaffen, dass das Demonstrationsrecht eins unser höchsten Güter ist. Und dass es für alle gilt, solange es nicht zu Straftaten missbraucht wird.

Das ist übrigens eine Lehre nicht nur aus Dresden, sondern auch aus Köln, wo vor zwei Wochen die Gegendemonstranten unter Triumphgeheul verhinderten, dass sich das armselige "Kögida"-Häufchen überhaupt in Bewegung setzen konnte. Ein Ausweis besonderer Toleranz war es nicht zu verhindern, dass andere ihr Grundrecht wahrnehmen können. Demonstrationsfreiheit bemisst sich nicht danach, wer lauter krakeelt, mehr Anhänger mobilisieren kann oder die geschmackvolleren Ziele vertritt. Ja, unter den "Pegida"-Organisatoren sind rechtlich mehr als zwielichtige Gestalten, im Osten wie im Westen. Aber es obliegt nicht den Gegendemonstranten zu entscheiden, ob eine Demonstration deswegen stattfinden darf.

In Leipzig könnten heute Abend bis zu 100.000 Menschen auf den Straßen sein. Es wäre gut, wenn die friedlichen Gegendemonstranten dabei zahlenmäßig die Oberhand behielten. Es wäre aber auch gut, wenn sich endlich die Einsicht durchsetzen würde, dass man sich mit den Argumenten der "Pegida"-Leute auseinandersetzen muss, auch wenn sie unsinnig sind. Und dass das noch lange keinen "Flirt" mit den Rechten oder gar ein stillschweigendes Einverständnis mit deren Zielen bedeutet. Einfach die Nase zu rümpfen oder "Faschistenpack" zu schreien, reicht jedenfalls nicht. Debattieren, argumentieren, widerlegen, auch wenn der Andere es nicht hören will — das ist die hohe Schule der Demokratie.

(fvo)
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