Steinmeier im Interview "Manche Linke sind unanständig"

Düsseldorf (RP). SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sieht eine unüberbrückbare Kluft zwischen seiner Partei und den Linken. Gänzlich ausschließen will er aber ein Bündnis nicht. Zugleich kündigt er Änderungen bei Hartz IV und der Rente mit 67 an.

 Frank-Walter Steinmeier (Mitte) im Gespräch mit RP-Chefredakteur Sven Gösmann (zweiter von links) und Redakteuren unserer Redaktion.

Frank-Walter Steinmeier (Mitte) im Gespräch mit RP-Chefredakteur Sven Gösmann (zweiter von links) und Redakteuren unserer Redaktion.

Foto: RP/Werner Gabriel

Herr Steinmeier, welche Machtoptionen hat denn die SPD-Chefin Hannelore Kraft für die NRW-Wahl im Mai?

Steinmeier Rot-Grün ist nur noch knapp hinter Schwarz-Gelb. Das Rennen ist offen, es wird sich am Wahlabend entscheiden.

Die Wähler wollen aber vielleicht trotzdem wissen, ob eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei denkbar ist.

Steinmeier Ich habe diese Frage auf Bundesebene bei der Bundestagswahl klar mit Nein beantwortet. Ebenso klar ist unsere Entscheidung in der SPD, dass Koalitionsfragen in den Ländern von den Landesverbänden entschieden werden müssen. Ich beobachte jedoch, was sich in der Linkspartei tut. Mir macht das alles einen wenig geordneten Eindruck.

Nach seinem Abschied von der Macht hat Linken-Chef Lafontaine gesagt, er glaube nicht, dass er ein Zusammengehen der Linkspartei und der SPD noch erlebe. Sie sind gut zehn Jahre jünger: Werden Sie es irgendwann erleben?

Steinmeier Es ist müßig darüber nachzudenken. Konkret sehe ich allerdings, wie viel die Linkspartei noch an sich zu arbeiten hat. Ihr Verhältnis zur europäischen Zusammenarbeit ist ebenso ungeklärt wie das zur Nato. Ein aktuelles Beispiel ist die Reaktion auf den bewegenden Auftritt des israelischen Präsidenten Schimon Peres im deutschen Bundestag. Er sprach über den Holocaust und die schreckliche Geschichte, die uns mit Israel verbindet. Und zum ersten Mal berichtete er auch öffentlich im Ausland vom Schicksal seiner Familie im Nationalsozialismus. Nach dieser Rede sind die Abgeordneten einmütig aufgestanden und haben ihm Ehrerbietung und Achtung erwiesen. Lediglich eine Reihe von Abgeordneten der Linkspartei blieb demonstrativ sitzen. Das sind Situationen, wo die Entfernung zwischen uns und ihnen deutlicher wird als in der Abstimmung irgendeines Entschließungsantrags zur Finanzpolitik. Mir zeigt das, wie wenig diese Leute von unserer Verantwortung aus der deutschen Geschichte wissen. Ein solches Verhalten ist unanständig.

Ein entscheidender Knackpunkt zwischen SPD und Linkspartei ist der Umgang mit den Hartz-Reformen. Wo sähen Sie denn bei der "Agenda 2010" Korrekturbedarf?

Steinmeier Selbstverständlich hat die Linkspartei vom populistischen Umgang mit diesem Thema profitiert. Aber wir hätten angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen ja nicht einfach die Hände in den Schoß legen können. Das hätte uns die sozialen Sicherungssysteme total zerschlagen, um deren Erhaltung es ja ging. Es ist uns doch gelungen, Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zu bringen und wieder mehr Menschen in die Beschäftigung zu bringen. Aber selbstverständlich muss dort, wo schädliche und unbeabsichtigte Nebenfolgen eingetreten sind, korrigiert werden. Das ist ganz eindeutig bei der Leiharbeit so. Die wurde eingeführt, um Menschen die Chance zu geben, einen Fuß in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Das hat zwar geklappt, aber mit vielen negativen Begleiterscheinungen. Es hat Missbrauch gegeben, weil Teile von Stammbelegschaften gegen Leiharbeiter ausgetauscht wurden. Hier müssen wir handeln.

Und keine Korrektur bei der Rente mit 67?

Steinmeier Wir müssen den Übergang in den Ruhestand flexibler gestalten. Ich habe dazu bereits vorgeschlagen, bei der Erwerbsminderungsrente umzusteuern, die Teilrente mit 60 einzuführen und die Altersteilzeit zu verlängern.

Muss die Bezugsdauer für Bezieher von Arbeitslosengeld I verlängert werden?

Steinmeier Wir müssen den Kern dessen erhalten, was uns die Wende auf dem Arbeitsmarkt gebracht hat. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für die über 50-Jährigen haben wir schon verlängert. Im Übrigen bleibt es dabei: Die SPD wird sehr sorgfältig überlegen, wo bei den Arbeitsmarkt-Reformen Korrekturen notwendig sind. Bei aller notwendigen kritischen Rückschau plädiere ich doch auch dafür, uns den Fragen des neuen Jahrzehnts zu widmen.

Welche Strategie verfolgen die Sozialdemokraten als Oppositionspartei zum umstrittenen Afghanistan-Einsatz?

Steinmeier Es ist gut, dass über Auslandseinsätze der Bundeswehr öffentlich diskutiert wird. Wo Politik junge Menschen in einen gefährlichen Einsatz schickt, muss Politik sich auch gegenüber den Bürgern rechtfertigen. Am Anfang des Afghanistan-Einsatzes standen 3000 Tote bei einem Terror-Attentat in New York und die Befürchtung, dass sich ähnliche Attentate auch bei uns ereignen könnten. Deshalb haben wir uns mit anderen dafür entschieden, nach Afghanistan zu gehen und dafür zu sorgen, dass dieses Land nicht länger Ausbildungslager für islamistische Terroristen bleibt. Dabei sind wir vorangekommen, vor allem beim zivilen Wiederaufbau. Absolut unbefriedigend ist die Sicherheitslage.

Was tun?

Steinmeier Jetzt die Weichen so stellen, dass der Rückzug ab 2011 beginnen kann, wie es auch die Amerikaner vorhaben. Gleichzeitig mehr tun für die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte. Und so dafür sorgen, dass unser militärisches Engagement dort zwischen 2013 und 2015 beendet sein kann. Übrigens genauso wie die afghanische Führung das auch will.

Also nicht "sofort raus aus Afghanistan"?

Steinmeier Wir sind nicht kopflos rein nach Afghanistan, wir können nicht kopflos raus. Aber wir müssen die Perspektive für die Dauer unseres Aufenthalts definieren und den Weg für die Beendigung ebnen.

Matthias Beermann und Reinhold Michels fassten das Gespräch in der Redaktion unserer Redaktion zusammen.

(RP)
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