SPD-Mann polarisiert im Europawahlkampf Martin Schulz — als Nazi beschimpft, als Deutscher getarnt

Im Europawahlkampf kann sich SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz über zu wenig Presse kaum beklagen. Die CSU wirft ihm undeutsches Verhalten vor, aus Italien werden abermals Nazi-Vergleiche laut, und selbst die gelernte Aussitzerin Angela Merkel soll sich inzwischen genervt eingeschaltet haben. Kein Zweifel: Der Mann macht Alarm.

 Auf seinem Blog verhöhnt der italienische Politiker Beppe Grillo Martin Schulz als Peitsche schwingenden Deutschen. Die CSU sieht das anders.

Auf seinem Blog verhöhnt der italienische Politiker Beppe Grillo Martin Schulz als Peitsche schwingenden Deutschen. Die CSU sieht das anders.

Foto: Screenshot Beppe Grillo

Eigentlich kennt den SPD-Politiker und amtierenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz kaum jemand. Nur jeder Dritte interessiert sich für die Wahl am 25. Mai, nur jeder Fünfte hat schon einmal etwas von Schulz gehört. Der aber arbeitet mit Nachdruck daran, dieses Defizit aufzuarbeiten. In höchster Frequenz klappert er Termine ab, trommelt für die SPD, vor allem aber für sich. Schließlich will Martin Schulz, ehemals Bürgermeister von Würselen bei Aachen, Kommissionspräsident in Brüssel werden.

Wahlkampf kann er, zuspitzen auch, und die Konfrontation scheut er ebenso wenig. Martin Schulz ist sicherlich kein Kind von Traurigkeit. Der wortgewandte Mann versteht sich darauf zu polarisieren. "Entweder die Leute finden mich gut oder abgrundtief scheiße." Das sagt er selbst. So viele Schlagzeilen wie an diesem Wochenende hatte er aber wohl bis auf die Zeit der gegenseitigen Beschimpfungen mit Silvio Berlusconi noch nie. Das hat er weniger seiner Umtriebigkeit als vor allem seinen Gegnern zu verdanken.

In einem Atemzug mit Brandt

Zuletzt tobte sich die CSU an ihm ab, vermutlich, um noch einmal Galligkeit in den müden Europa-Wahlkampf hineinzubringen. "Ein potenzieller Kommissionspräsident, der sich für Eurobonds und Schuldentilgungsfonds einsetzt, versündigt sich an den Menschen in Europa", legte CSU-Spitzenkandidat Markus Ferber los.

Drastischer noch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der sich zum wiederholten Male mit seinen Formulierungen im grenzwertigen Bereich bewegt. Er warf Schulz indirekt vor, in Europa keine deutschen Interessen zu vertreten. "Die Fassade und die Person stammen aus Deutschland, aber die Stimme und die Inhalte stammen aus den Schuldenländern."

Die SPD wies die Angriffe empört zurück. "Schulz als quasi Un-Deutschen zu verunglimpfen, ist selbst für die CSU ein neuer Tiefpunkt im Wahlkampf", sagte Generalsekretärin Yasmin Fahimi der Nachrichtenagentur dpa. SPD-Vize Ralf Stegner sagte: "So wie sie früher Willy Brandt als vaterlandslosen Gesellen beschimpften, wird nun Martin Schulz gemeinsam von Berlusconi und CSU verunglimpft."

Auf einem Bild peitscht Schulz Italiens Premier

Wie auf Stichwort folgte auch Kritik aus Italien. Nur bollerte diesmal nicht Berlusconi selbst gegen Schulz, sondern Beppe Grillo, der so schillernde wie unversöhnliche Führer der Fünf-Sterne-Bewegung. Er bereicherte die Tiraden vom Tiber mit einer neuen Variante von Nazi-Anfeindungen. So habe Berlusconi nicht "völlig falsch" gelegen, als er Schulz 2003 als "Kapo" bezeichnet — und damit mit einem KZ-Wächter verglichen — habe, hieß es auf Grillos Internet-Blog.

Grillo brachte Schulz zugleich in Verbindung mit Comic-"Sturmtruppen" — und bezeichnete ihn als "Krapo", eine Zusammenziehung aus Kapo und "crapun". Dabei handelt es sich um ein italienisches Dialektwort, das einen großen Kopf bezeichnet und häufig auf den italienischen Diktator Benito Mussolini angewendet wurde.

Grillo reagierte mit seinen Attacken auf ein Interview, in dem Schulz ihm "autoritäre" Neigungen nachgesagt und mit dem Sowjetführer Josef Stalin und dem verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verglichen hatte. Wie gesagt: Auch Schulz ist kein Kind von Traurigkeit. Auf Grillos Blog ist zudem eine Fotomontage zu sehen, auf der Schulz in Nazi-Manier den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi auspeitscht.

Angriffsfläche für jedermann

Die Attacken zeigen auf erstaunliche Weise, wie inhaltsleer der EU-Wahlkampf verläuft. Während die CSU den Spitzen-Sozialisten als Statthalter der Schuldenländer wie Griechenland, Spanien und Italien attackiert, karikiert ihn ein italienischer Populist wie Grillo als Nazi, der der italienischen Regierung die eiserne Sparpolitik von Angela Merkel aufzwingt. Mehr Angriffsfläche geht nicht.

Selbst die sonst sehr konfliktresistente Angela Merkel hat Schulz nach einem Bericht von Spiegel Online inzwischen gegen sich aufgebracht. Angeblich hat sie in Brüssel interveniert, weil Schulz sein Amt als Parlamentspräsident mit dem des Spitzenkandidaten auf unzulässige Art vermischen könnte.

Längst verwässern die Positionen

So habe er für den 27. Mai, zwei Tage nach der Wahl, ein Treffen der Fraktionschefs im EU-Parlament anberaumt, um mit ihnen die Ergebnisse der Wahl einzuordnen. Von ihnen hängt auch ab, wer das Amt des Kommissionspräsidenten besetzen wird. Das aber geht Merkel offenbar zu weit. Sie hat laut Spiegel ihr Veto eingelegt.

Und Schulz selbst? Macht weiter Wahlkampf, am Sonntag in Spanien, diesen Montag schon wieder in Berlin, wo er mit einem neuen Plakat schon wieder provoziert: "Liebe CDU, wir zeigen unseren Spitzenkandidaten. Wo ist eigentlich euer?", steht darauf zu lesen.

Offensichtlich geht Schulz auch hier davon aus, dass er im Zweifel von höheren Aufmerksamkeitswerten nur profitieren kann. Inhaltlich hat er seine Positionen, wegen derer er angegriffen wird, ohnehin längst geräumt. Als SPD-Politiker darf er es sich wegen der Regierungsbeteiligung in der Großen Koalition nicht mehr erlauben, gegen die Sparpolitik von Angela Merkel zu wettern.

Mit Material von dpa und AFP

(pst)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort